BEI BSE SOLLTEN NUR NOCH KOHORTEN GETÖTET WERDEN
: Eine Chance für Kühe

Der Agrokalypse geht es nicht besser als allen anderen Katastrophen. Dioxin verdrängt Formaldehyd, das Ozonloch verdrängt die Rußpartikel, und MKS verdrängt BSE. Doch plötzlich sind die Löcher im Hirn wieder da, die BSE-Statistik tröpfelt wieder: 52 Fälle in Deutschland. Die eigentliche Neuigkeit: Erstmals soll in Rheinland-Pfalz keine komplette Herde, sondern nur die Kohorte gekeult werden. 40 Tiere statt 138.

„Keulen“, das Wort des Jahres, ist schnell hingeschrieben. Was es wirklich bedeutet, haben die Tierärzte im Schlachthof Stöbnitz in Sachsen-Anhalt erlebt. Sie mussten wegen eines BSE-Falls in einer Herde 955 Rinder, Kälber, tragende Färsen und Jungrinder töten. Tier für Tier. 40 Stunden lang dauerte das Gemetzel, im Schichtbetrieb und unter Polizeischutz. Draußen schrien hunderte Demonstranten: „Mörder! Mörder!“ Drinnen stand den zwangsverpflichteten Amtstierärzten der Schweiß auf der Stirn. Niemand von ihnen hatte den Henkersjob freiwillig übernommen, sie waren amtlich abkommandiert worden. Die Seelsorgerin, die dabei war, spricht von einem „seelischen Erdbeben“. Noch heute haben die Tierärzte Albträume und rufen nachts bei der Pfarrerin an.

Trotzdem: Wenn es die Sicherheit verlangt, müssen die Tiere umgebracht werden. Die wissenschaftliche Notwendigkeit ist allerdings mehr denn je umstritten. Bei den Herdenkeulungen zeigte sich nämlich, was auch in Großbritannien und der Schweiz erkannt wurde: BSE befällt in aller Regel nur einzelne Tiere. Bisher wurden nur in zwei Fällen in den gekeulten Herden neue BSE-Erkrankungen entdeckt. Und die hätte man auch mit der Kohortentötung ausgemerzt. Wenn die verwandten und gleichaltrigen Tiere getötet werden, hat man eigentlich genug für die Sicherheit getan, sagen die Schweizer Veterinäre. Die Deutschen sagen was anderes, die Briten wieder was anderes.

Und was sagt die EU? Sie wird im Sommer ein Gesetz vorlegen und dabei die Kohortentötung in Ausnahmefällen zulassen, was zu begrüßen wäre. Da sich der Rindfleischmarkt leicht stabilisiert, ist man in Brüssel auch in Sachen Massentötungen offenbar wieder flexibler. In der Vergangenheit war die Herdentötung auch zu einer Marktregulierung geworden. Nur die tote Kuh war eine gute Kuh.

MANFRED KRIENER