Proteste gegen Straflosigkeit

Die brasilianische Landlosenbewegung MST demonstriert am fünften Jahrestag des Massakers von Eldorado do Carajás in 20 Bundesstaaten. Der Prozess gegen 153 damals beteiligte Militärpolizisten soll jetzt wieder aufgenommen werden

aus São Paulo GERHARD DILGER

Die Bilder gingen um die Welt: An einer Straßenkreuzung im Amazonasurwald eröffneten Militärpolizisten das Feuer auf hunderte Mitglieder der brasilianischen Landlosenbewegung MST. Im Laufe des Gemetzels von Eldorado do Carajás wurden 19 Demonstranten erschossen, zum Teil aus nächster Nähe. Weitere 69 wurden verletzt. Das war am 17. April 1996.

Bis heute sind die Verantwortlichen straffrei ausgegangen. Im August 1999 sprach ein Geschworenengericht in Belém die Kommandanten der Militärpolizei frei, doch dieses Urteil wurde wegen offensichtlicher Verfahrensfehler wenig später annulliert. Nächsten Monat soll der Prozess gegen 153 am Massaker beteiligte Militärpolizisten wiederaufgenommen werden – unter einer neuen Richterin und mit neu ausgelosten Geschworenen.

Am Dienstag, zum fünften Jahrestag des Massakers, organisierte die MST Protestaktionen im ganzen Land, an denen sich über 20.000 Menschen beteiligten. Am Tatort im Süden des Bundesstaats Pará nahmen 2.000 Menschen an einem Gedenkgottesdienst teil. In der Landeshauptstadt Belém besetzten 1.200 DemonstrantInnen das Landesgericht.

Vergeblich hatten Anwälte der Landlosenbewegung MST versucht, den Prozess vor ein Bundesgericht zu bringen. Nur so, argumentieren sie, könnten die Geschworenen dem Druck mächtiger lokaler Interessen entzogen werden. Der Befehl zur Räumung der Kreuzung von Eldorado do Carajás unter Einsatz von Waffengewalt war vom Sicherheitsminister der Landesregierung ausgegangen. Gouverneur Almir Gabriel, ein Parteifreund des Präsidenten Fernando Henrique Cardoso, hatte die Aktion genehmigt.

Die Straflosigkeit auf dem Lande hat System: Nach Angaben der katholischen Kirche wurden seit 1985 bei Landkonflikten über 1.200 Menschen umgebracht, doch nur in drei Fällen endeten die insgesamt 85 Gerichtsverfahren mit einer Verurteilung der Verantwortlichen.

Die größten Demonstrationen fanden am Dienstag in den Städten im Nordosten Brasiliens statt. 3.000 Landlose zogen durch die Straßen der Küstenmetropole Recife, in Salvador waren es 4.000. In Rio trugen die DemonstrantInnen Kerzen und 19 Kreuze.

In weiteren 16 Bundesstaaten gingen Landlose auf die Straße. Der internationale Kleinbauern-Dachverband „Via Campesina“ hatte den 17. April zum „internationalen Tag der Bauernkämpfe“ erklärt, nicht nur, um der Toten von Eldorado do Carajás zu gedenken, sondern auch, um die aktuellen Forderungen der Bauernbewegungen an die Öffentlichkeit zu bringen. Im südwestlichen Grenzort Uruguaiana blockierten 2.000 Demonstranten die Grenze nach Argentinien. Wegen billiger Agrarimporte blieben viele Kleinbauern auf ihrer Produktion sitzen, sagte ein Bauernsprecher.

Mit den friedlichen Demonstrationen hat sich die MST wieder landesweit zurückgemeldet. In den letzten Wochen hatte sie verschiedene Landgüter besetzt, darunter eines des brasilianischen Botschafters in Italien. Auch die Farm von Präsident Cardoso im Bundesstaat Minas Gerais können wieder belagert werden, sagte ein MST-Sprecher.

Regierungsmitglieder räumten zwar ein, die Proteste gegen die Straflosigkeit seien berechtigt. Doch in den letzten fünf Jahren seien 500.000 Familien angesiedelt worden, sagte der Minister für Landfragen Raul Jungmann. Deswegen sei auch die Zahl der Landbesetzungen zurückgegangen – von 199 im ersten Trimester 1997 auf 44 im gleichen Zeitraum diesen Jahres.

Dies sei nur die halbe Wahrheit, hält João Pedro Stedile von der nationalen Leitung der MST entgegen. Noch mehr Kleinbauern seien im gleichen Zeitraum Bankrott gegangen, „weil es nicht genügt, Land zu verteilen, wenn das gesamte Agrarmodell gegen die Kleinbauern gerichtet ist“. Per Saldo gehe die Landkonzentration und die Landflucht weiter. „Die Regierung fördert den Export von Soja und Orangensaft, während die kleinbäuerliche Produktion durch Billigimporte von Milchprodukten und sogar Kokosnüssen kaputt gemacht wird“, so Stedile zur taz. Allerdings sei es für die MST schwierig, gegen die Regierungspropaganda in den Medien anzukommen.