: Nach der Betty-Ford-Klinik
Jetzt, da Rock gerettet ist, können sie sich Bedeutsamerem zuwenden: Die Koblenzer Ex-Grunger Blackmail sind samtene Schmiede epischer Songopern geworden. Dazu clean, cool und ein bisschen größenwahnsinnig auch
Wie so viele Geschichten, die von deutscher Rockmusik handeln, beginnt auch diese in der Provinz. Blackmail stammen aus verschiedenen Käffern um Koblenz herum. Dort, am schönen Rhein, machte man sich dereinst auf, Rock zu retten. Weil Kurt Cobain sich gerade umgebracht hatte, weil Kyuss sich gerade aufgelöst hatten, weil keiner mehr Gitarren hören wollte, weil es viele Gründe gab, weil es einfach nötig war.
Jetzt, da Rock gerettet ist, können sie sich Bedeutsamerem widmen. Deshalb nun „Bliss, Please“. Auf ihrem dritten Album erweitern Blackmail ihre zuvor bisweilen arg eingeschränkten Ausdrucksmöglichkeiten. Früher donnerten sie wie Nirvana und Soundgarden zusammen, heute gibt es neben ihren steinschweren, gitarrenlastigen Hymnen auch samtene Melodien. Nun finden sich neben fiesen Rückkopplungen doch tatsächlich freundlich-nette Popmelodien und größenwahnsinnig epische Songopern.
Ihre Vergangenheit hatten die vier von Blackmail als Studiomusiker verbracht oder Frondienst geleistet für den Deutschdoofpop von Fritten & Bier oder den HipHop des Solo-Ausflugs von Thomas D von den Fantastischen 4. Aktuell betreibt Gitarrist Kurt Ebelhäuser neben Blackmail noch die eher schrammelig gehaltene Gitarrenband Scumbucket, während Sänger Abay und Trommler Mario Matthias sich als Dazerdoreal an Electronica versuchen. Ausreichend Einflüsse also, die man nicht unbedingt explizit hören kann, die aber, so könnte man zumindest vermuten, für „Bliss, Please“ zu einer offeneren Haltung geführt haben.
Früher einmal haben sie „Tomorrow Never Knows“ einfach nur gecovert. Heute scheinen sie sich mitunter selber für die Beatles zu halten. Eine Trompete trötet quer, ein Klavier tröpfelt hemmungslos, aber die klitzekleine Studiospielerei muss auch noch sein. Die Ideen rennen sich bisweilen gegenseitig über den Haufen, so überzeugt sind sie von ihrer eigenen Großartigkeit. Manchem Song gefällt sein eigenes Intro so gut, dass er gar nicht so recht beginnen will.
Zwangsläufig wächst sich da manches Lied schon mal auf sechs Minuten aus und dann drehen sich die Gitarrenriffs so lange um die eigene Achse, bis einem schwindlig werden muss. Früher nannte man sowas psychedelisch. Oder Drogenmusik, wenn man ehrlich war. Damals ging das so lange gut, bis die Ersten starben. Heutzutage braucht es ja keine Drogen mehr, coole Kinder können warten und Blackmail sind mittlerweile natürlich breit. Jedenfalls, wenn man Sänger Aydo Abay glauben darf, der in Interviews bereitwillig von seiner, dank einem Aufenthalt in einer Betty-Ford-Klinik überstandenen, Sucht erzählt. So gesehen ist es dann also doch wieder nur die gute alte Geschichte, die in der Provinz spielt und von der Rockmusik handelt.
THOMAS WINKLER
Heute, 21 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg
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