Kinder wollen betreut sein

betr.: „Wo kommen die kleinen Kinder her?“, taz vom 18. 4. 01

Ich bin männlicher Teil eines gut verdienenden, berufstätigen kinderlosen Paares, bei dem die Frau sich altersmäßig der biologischen Grenze nähert, wo sie noch Kinder bekommen kann. Dass wir noch keine Kinder haben, liegt nicht am Geld, sondern an der in Deutschland fehlenden Kinderbetreuung. [...]

Warum schrecken wir vor Kindern zurück, obwohl wir genügend Geld hätten, um eine private Kinderbetreuung zu finanzieren? Nun, was in Frage käme, wäre die Finanzierung einer Tagesmutter und später ein privater Kindergartenplatz. Dies ist leider mit einigen Einschränkungen verknüpft: Erstens muss eine Tagesmutter gefunden werden, mit der wir und das Kind zufrieden sind. Zweitens gibt es, wenn die Tagesmutter krank wird, keine Rückfallstruktur, die dann einspringen kann. Drittens gibt es, wenn das Kind größer ist, keinen Kindergarten, der eine zuverlässige Ganztagsbetreuung bietet, die die normalen Arbeitszeiten eines Achtstundentages abdeckt. Viertens dürfen wir alles, mit allen Unwägbarkeiten, neu organisieren, wenn wir umziehen.

Was erwarten wir von einer guten Kinderbetreuung? Eine Kinderbetreuung sollte so organisiert sein, dass sie als Dienstleistung ohne großen Aufwand in Anspruch genommen werden kann. Ein gewisses Mindestniveau der Qualifizierung sollte bei den BetreuerInnen vorhanden sein, ebenso wie eine nicht zu große Anzahl der Kinder pro BetreuerIn. Es sollte Curriculae geben, die vorschreiben, was den Kindern in welcher Altersgruppe beigebracht werden soll. Und schließlich muss die Betreuung von einer achtstündigen Berufstätigkeit beider Eltern ausgehen und darauf abgestimmt sein.

[...] In Diskussionen mit Deutschen hören wir immer wieder die Entgegnung, dies sei utopisch, weltfremd und schlecht für die Kinder, da sie nicht mehr mit der Mutter aufwüchsen. Wir betrachten dies jedoch nur als typisch deutsche ideologische Voreingenommenheit, die selbst bei den sich als „links“ und „fortschrittlich“ verstehenden Menschen sehr verbreitet ist. In anderen Ländern gibt es ganz andere Meinungen zu diesem Thema.

Beispiel Frankreich: Wir haben unsere Erfahrungen vor allem in Frankreich gesammelt. Dort gibt es seit Jahrzehnten (von de Gaulle seinerzeit initiiert) eine funktionierende Kinderbetreuung, wie wir sie uns auch für Deutschland wünschen (oben habe ich es kurz skizziert). Erfahren FranzösInnen etwas über die deutschen Zustände, so sind sie äußerst überrascht, dass es in diesem Punkt derart rückständig ist. Das Beispiel Frankreich nimmt auch all denjenigen den Wind aus den Segeln, die immer behaupten, dass es den Kindern schaden würde, wenn sie nicht bei den Eltern aufwüchsen. Denn das würde implizieren, dass die meisten der heute erwachsenen FranzösInnen einen Schaden durch ihre Kindheit und Jugend erlitten hätten ... Aber vielleicht sollten wir nicht nur nach Frankreich, sondern innerhalb Deutschlands in die Ex-DDR blicken, in der die Bevölkerung auch ihre Kindheit in staatlichen Kinderbetreuungseinrichtungen verbracht hat und wo die Gedanken, die ich hier ausbreite, auf offenere Ohren als im Westen stoßen.

Was ist über Kinderbetreuung hinaus erforderlich? In der Arbeitswelt ist ein offenerer Umgang mit dem Thema Kinder und Familien erforderlich. Es ist allerdings ein kultureller Umschwung, der hier nötig ist. Deutsche Arbeitgeber bieten meist nur Stellen an, die 100 Prozent Einsatz verlangen und stillschweigend davon ausgehen, dass zu Hause ein Ehepartner ist (i. d. R. die Frau), der das Alltagsleben organisiert und dem arbeitenden Partner den Rücken frei hält. Entlang dieser Vorstellung ist bislang auch die staatliche Familienpolitik orientiert gewesen und es mag 1998 mit zur Abwahl der CDU/CSU beigetragen haben, dass dies zunehmend immer weniger der Fall ist (durch Scheidungen etc.), aber zu keiner qualitativen Änderung der Politik geführt hat.

Als Mann bin ich entschlossen, falls wir uns doch noch für Kinder entscheiden, meinem Arbeitgeber die gleichen Ausfallzeiten zuzumuten, die ihnen auch meine Frau zumutet. In dem Maße, wie die Männer genauso unberechenbar für die Arbeitgeber werden wie Frauen, wird sich auch die Berufsorganisation darauf einstellen. ROLAND REIMERS, Gießen