Vorwärts, Genossen

Vietnams regierende Kommunisten leisten sich einen neuen Generalsekretär, der einen moderaten Reformkurs verspricht

von JUTTA LIETSCH

Nach starrem Ritual, das nichts von den Machtkämpfen hinter den Kulissen verriet, begann gestern der 9. Parteitag der Kommunistischen Partei in Vietnam: Rote Fahnen schmückten die Straßen der Hauptstadt Hanoi. Parteichef Le Kha Phieu legte einen Kranz vor das Mausoleum des Nationalhelden Ho Chi Minh nieder, bevor er unter Porträts von Marx und Lenin und der Büste Hos vor über eintausend dösenden Delegierten seinen 40-seitigen Rechenschaftsbericht vortrug. Die Partei werde künftig die „sozialistische Marktwirtschaft“ stärken und die „Korruption noch mehr bekämpfen“, versprach der 71-Jährige.

Zur Praxis der vietnamesischen Kommunisten gehörte auch, dass Phieu kein Wort über seine eigene politische Zukunft verlor. Die sieht, wie in Hanoi gemunkelt wird, düster aus: Der Politiker, der seit 1997 die KP führt, wird wahrscheinlich heute seinen Posten an den 61-jährigen Nong Duc Manh abgeben. Manh, nach Gerüchten gar ein unehelicher Sohn Ho Chi Minhs, war bislang Chef der Nationalversammlung. Nach Angaben von Diplomaten wurde er nach heftigen Debatten im 150-köpfigen Zentralkomitee zu Wochenbeginn zum Nachfolger des konservativen Phieu bestimmt. Zwei Dinge zeichnen Manh aus: Er gilt als gemäßigter Reformer, und er stammt aus dem Tay-Volk im Norden des Landes. Zum ersten Mal in der Geschichte Vietnams wird damit ein Mann an die Parteispitze gehievt, der einer der rund 50 ethnischen Minderheiten angehört.

Mit seiner Wahl hofft die KP, den Zorn der Minderheiten auf die Zentralregierung zu besänftigen. Diese Völker leben vorwiegend in den armen Bergregionen. Seit Herbst kam es öfter zu Unruhen, weil korrupte Beamte für arme Bauern bestimmte Gelder in die eigenen Taschen wirtschafteten. Zudem wuchs das Gefühl, von den ethnischen Vietnamesen aus dem übervölkerten Tiefland verdrängt zu werden, die sich inzwischen immer höher in den Bergen ansiedeln.

Die Delegierten sollen auf dem Parteikongress, der alle fünf Jahre stattfindet, den Rest der Führung im Amt bestätigen und einen neuen Zehnjahresplan absegnen. Nach dem von Weltbank und Internationalem Währungsfonds unterstützten Projekt wird die Regierung Wirtschaftsreformen beschleunigen, das korrupte Rechtssystem verbessern und die wuchernde Bürokratie bekämpfen. Kopfzerbrechen bereiten insbesondere die staatlichen Betriebe, die tiefrote Zahlen schreiben und nach dem Willen von Reformern möglichst schnell privatisiert werden sollen. Hoch verschuldete Banken und jedes Jahr 1,4 Millionen arbeitslose Schulabgänger tragen zur Malaise der Wirtschaft bei.

Viele ausländische Unternehmer, die nach dem Ende des kalten Krieges in den 90er-Jahren hoffnungsvoll nach Vietnam strömten, sind inzwischen frustriert über Korruption und Bürokratie wieder abgereist. Im Jahr 2000 investierten Ausländer nach Schätzungen der Weltbank nur 600 Millionen US-Dollar, Mitte der 90er-Jahre waren es noch 2 Milliarden pro Jahr.

Gegen den bisherigen KP-Generalsekretär Phieu, der für einen KP-Führer recht kurz im Amt war, hatte sich seit vorigem Jahr ein in der Partei bislang beispielloser Widerstand entwickelt: Führende ZK-Mitglieder bezeichneten ihn in einem internen Rundschreiben sogar als „unfähig“. In der Bevölkerung gilt seine Familie als korrupt.