Häppchen am Hofe

Vom Umzug der Regierung versprach sich mancher eine öffentlichere Politik. Doch statt mehr Einblick gibt es nur mehr Show

von STEFFEN GRIMBERG

Als Intendant von DeutschlandRadio Berlin genießt Ernst Elitz, der ehemalige ZDF-„heute journal“- und ARD-„brennpunkt“-Moderator, das Privileg höherer öffentlich-rechtlich Bediensteter, dann und wann im Dienstwagen vorgefahren zu werden. Und wenn sich der smarte Endfünfziger vor der Bundespressekonferenz aus dem Coupé schält, kann es schon mal passieren, dass etwas unbedarftere JournalistInnen ihrem Kollegen Elitz das Mikro für einen Soundbite unter die Nase halten: Mit einem Politiker hätten sie ihn verwechselt, erzählte der Intendant im vergangenen Herbst entrüstet bei einer der vielen Tagungen, die die Medienwelt der neuen, der Berliner Republik zum Inhalt hatten.

Eins steht fest: Mehr sind es geworden. Rund neunhundert JournalistInnen sind allein bei der Bundespressekonferenz akkreditiert, in Bonn waren die Verhältnisse dagegen geradezu beschaulich. Vor allem jünger seien die KollegInnen, sagen alte Hasen wie Elitz und meinen damit immer häufiger: schlechter ausgebildet. Und ohne Manieren. Fernsehteams stehen sich gegenseitig im Weg, das ZDF hat sich sogar die Windschützer für seine Mikrofone patentieren lassen: Die sind nämlich nicht nur orange, sondern zudem noch eckig und lassen sich so im allgemeinen Sumpf der runden Schaumgummipfropfen besser verorten. Unterscheidung im Zeitalter medialer Vermassung tut eben Not.

Dies wäre insgesamt mit gelassenem Achselzucken hinzunehmen, wenn sich die Unterschiede im Vergleich von „Bonner“ und „Berliner“ Republik lediglich im Bereich von Zahlenspielereien oder technischen Accessoires manifestierten. Doch dem ist nicht so: Die organisierte Öffentlichkeit selbst macht einen tief greifenden Wandel durch. Was verkürzt gern als „vierte Gewalt“ salopp in die populäre Theorie von Volksherrschaft eingepasst wird, gerät ins Stottern. Geradezu „auf dem Weg zu einer höfischen Öffentlichkeit“ sieht Michael Hanfeld, Medienredakteur der Frankfurter Allgemeinen, die deutschen Medien. Und das ausgerechnet im Zeitalter der ersten rot-grünen Koalition.

Eins ist sicher: Verändert hat er sich, der Umgang der Regierung mit den Medien. Die Urangst eines Helmut Kohl vor dem Medium Fernsehen hatte der Mann, der schon früh am alten Bonner Kanzleramt die Eisenstäbe umklammerte und telegen „Ich will hier rein!“ rief, nie. War ein Bundeskanzler Kohl im entsprechend devoten Biolek’schen „Boulevard“ bei aller Kritik doch irgendwie bemerkenswert, fällt ein Bundeskanzler Gerhard Schröder bei „Wetten, dass ...?“ gar nicht mehr auf.

Und auch das allein böte wenig Anlass zur Besorgnis, sondern taugt höchstens zur Bestätigung der nicht mehr ganz taufrischen These von der Politik als Inszenierung, vom „Entertainment“, das „überall einsickert“, wie es Hans-Ulrich Jörges von der Woche formulierte.

Doch das politische Establishment lässt sich bei seinen Aufführungen nicht mehr in die Kulisse gucken. Oder zumindest längst nicht mehr von allen: Im angeblich so verschlafenen Bonn, so erzählen altgediente Parlamentsreporter, existierten mehrere Dutzend streng vertraulicher Gesprächskreise von Mandatsträgern, hohen Regierungsbeamten und schlichten Abgeordneten mit der Presse. Natürlich gaben auf Medienseite auch am Rhein schon die üblichen überregionalen Verdächtigen den Ton an. Doch auch der Korrespondent einer kleinen, nicht ganz so wichtigen Regionalzeitung hatte Zugang zu den halboffiziellen Bonner Informationszirkeln.

Vielleicht bekam er nicht die allerfrischesten Gerüchte, doch auch ihm wurden irgendwann Hintergründe und Zusammenhänge ausgeleuchtet. „Unter drei“, versteht sich. Berichtet werden, heißt diese Branchenregel bis heute, darf eigentlich gar nicht. Und weil sich niemand daran hält und natürlich auch die PolitikerInnen eine Berichterstattung wünschen, solange unklar bleibt, wer dahinter steckt, ist in den Artikeln dann von „Kreisen“ die Rede, die manchmal erstaunlich „gut unterrichtet“ sind.

Gelegentlich sind die Runden nicht ganz so geheim, dann darf „unter zwei“ schon ein bisschen mehr ans Licht – und etwa die Nachricht, wenn schon nicht als aus dem Munde des Staatssekretärs persönlich, so zumindest doch als aus seinem Ministerium stammend kolportiert werden. Da solche Gespräche natürlich nicht als Einbahnstraße verlaufen, ist dabei auch den Journalistinnen die Möglichkeit gegeben, in der Grauzone zwischen Privatgespräch und Pressekonferenz ihre eigene Agenda voranzutreiben: Recherche als gegenseitiges Geben und Nehmen.

Nun versteht es auch die rot-grüne Bundesregierung in Berlin vortrefflich, JournalistInnen ins Vertrauen zu ziehen. Doch die medialen Meinungsführer und Minister sind an der Spree lieber unter sich. Überregionale Blätter und Politmagazine sitzen in der ersten Reihe, auch die taz ist in einigen „echten“ Hintergrundkreisen vertreten. Zu glauben, dass sich unter Rot-Grün der Informationsfluss automatisch verbessert hätte, wäre allerdings eine krasse Fehleinschätzung. Und manche Minister, heißt aus dem taz-Parlamentsbüro, gerierten sich tatsächlich wie Potentaten: Handverlesen ist die Journalistenschar, als ungerecht empfundene Berichterstattung wird per Interviewentzug abgestraft.

Für viele regionale Zeitungen bleibt in Berlin ohnehin nur der Katzentisch. Einzig bei Sozialminister Walter Riester, geht der Branchenspott, gebe es noch Hintergrundzirkel „groß wie Jahrmärkte“. Das gemeine Fußvolk, das schon mal Intendanten mit Politikern verwechselt, trifft sich ohnehin nur in der Bundespressekonferenz.

Dieses Ritual, bei dem sich Regierungssprecher, aber auch Minister und dann und wann der Kanzler selbst den Fragen der JournalistInnen stellen, bleibt ein wichtiger Fixpunkt im medialen Hauptstadtalltag. Weil die Konferenz auch im pressehauseigenen Kabel-TV übertragen wird, braucht man heute allerdings gar nicht mehr hinzugehen: JournalistInnen degradieren sich zu Zuschauern; Rückfragen via Bildschirm sind eben nicht möglich. Auch der öffentlich-rechtliche Ereigniskanal Phoenix gilt als Pressekonferenzkiller: Die Medienmehrheit sieht nur noch zu, die entscheidenden Briefings finden ganz woanders statt, aber eben nur für Auserwählte. Verschwiegen präsentiert sich die Berliner Republik bei aller inszenierten Jovialität und Bürgernähe.

Und gerade weil das kleine Häppchen Exklusivnachricht in Zeiten der allgegenwärtigen Konkurrenz von TV, Zeitung, Radio und Internet noch nie so wertvoll war wie heute, nimmt der Hang zum Höfischen zu: Die verschwiegene Republik hat viele Lakaien.

STEFFEN GRIMBERG, 33, ist taz-Medienredakteur und moderiert am Sonntag, 29. April, 11 Uhr, das taz-Forum: Die verschwiegene Republik. Gäste sind Karl Feldmeyer, Frankfurter Allgemeine Zeitung; Friedrich Küppersbusch, Pro Bono Productions; Johannes Schradi, Badische Zeitung; Charima Reinhard, Sprecherin der Bundesregierung; und Jens König, taz.