Traurige Rächerin

Für Kommissarin Odenthal war ihr Chef auch Vater-Ersatz. Jetzt ist er tot und sie erkennt: Ihr Idol war ein fieser Tyrann (Sonntag, 20.15 Uhr, ARD)

von CHRISTIAN BUSS

Er nennt sie „mildes Mädchen“ und tut auch sonst ganz fürsorglich: Wüsste man es nicht besser, Polizeipräsident Kaysser (Michael Mendl) könnte als Vater von Kommissarin Odenthal (Ulrike Folkerts) durchgehen. Für die Ermittlerin, die so was wie familiäre Geborgenheit sonst allenfalls erleben darf, wenn sie nach einer durchzechten Nacht neben ihrem schnarchenden Assistenten und WG-Genossen Kopper aufwacht, ist der Mann jedenfalls mehr als ein Vorgesetzter.

Kaysser ist Odenthals Leitfigur. Wenn jemand Zweifel an seiner Integrität anmeldet, beschwört sie mit geradezu soldatischem Eifer dessen Tugenden. Doch dann rast Kaysser mit dem Auto in den Tod, und posthum verliert der väterliche Freund an Pracht. Eine unrühmliche Geschichte nach der anderen wird bei den Ermittlungen hochgespült. Kaysser, der seiner Schülerin Odenthal als letzten Rat mit auf den Weg gab, nie zu viel von sich preiszugeben, litt unter Minderwertigkeitskomplexen. Der Aufschneider schluckte Antidepressiva, demütigte die Geliebte und quälte die Tochter (Annett Renneberg). Die traurige junge Frau, die als Bildhauerin Engel ohne Köpfe fertigt, soll denn auch am Todesfahrzeug rumgesägt haben. Doch das ist eine Finte. Das Ableben des Alten erweist sich am Ende als letzter großer Akt der Tyrannei.

So doppelbödig und vielschichtig wie „Der Präsident“ kam schon lange keine Tatort-Folge mehr daher. Dabei schärft die edel gestylte Episode, die Folkerts-Hausregisseur Thomas Bohn nach allen Regeln des Psycho-Thrillers filmte, noch einmal das Profil der wohl einflussreichsten öffentlich-rechtlichen Ermittlerin: Ein Privatleben war der Odenthal, von einigen zaghaften Andeutungen und einer schweren Entgleisung abgesehen, ja noch noch nie vergönnt. Dafür geht sie ihrer Arbeit mit einem gewissen Lustgewinn nach.

In „Der Präsident“ diagnostiziert eine Verdächtige mit Esoteriktick bei der Kommissarin: „Sie sind eine traurige Frau.“ Odenthal schluckt und guckt wie ein geprügelter Hund. Die eigene Glücklosigkeit hat sie jedoch empfindsam gemacht für das Elend anderer, genauer: anderer Frauen. Nicht erst seit dem groß promoteten Coming-out der Odenthal-Darstellerin Folkerts vor zwei Jahren forscht man im Tatort made in Ludwigshafen nach einem feministischen Subtext. Mit „Der Präsident“ indes wird ein Thema wie männliches Machtdenken nun an die Oberfläche geholt. Odenthal etabliert sich endgültig als Rächerin der Missbrauchten. Zumal in dem ungewohnt kurzen Abstand von drei Wochen eine weitere Folge mit der Lederjackenträgerin läuft, in der das Sujet kaum variiert – Zufall oder Strategie?

In „Gute Freunde“ muss sich ein Fernsehmoderator (Hans-Werner Meyer) aufgrund mörderischer Verstrickungen in der Öffentlichkeit dazu bekennen, ein Verhältnis mit seiner Adoptivtochter gehabt zu haben. Aus der Selbstanzeige schlägt der Krawalltalker dann auch noch Quote. „Gute Freunde“ wirkt zwar etwas betulich – doch auch hier führt maskulines Allmachtsdenken in den Untergang.

Dabei träumt Odenthal-Darstellerin Folkerts schon seit Jahren davon, endlich mal eine böse Frau dingfest zu machen. Einmal immerhin, in der ebenfalls von Thomas Bohn inszenierten Folge „Kalte Herzen“, war es ihr vergönnt, die eiskalte Managerin eines Kinostars zur Strecke zu bringen. Gespielt wurde das Teufelsweib von Gilla von Weitershausen. Die tritt jetzt in „Der Präsident“ als Seelenklempnerin auf und analysiert die Persönlichkeitsstörungen des mörderischen Vaters. Nach den aktuellen Odenthal-Tatorten bleibt es also dabei: Das ist eine üble Männerwelt da draußen.