Mode und Verzweiflung

Das Buch, das einen Unterschied macht: Elke Naters’ Skizzen, Fotografien und Aufzeichnungen zu Geld, Liebe, Arbeit, Meer – „G.L.A.M.“

Entweder ist es mit unser aller Individualität nicht so weit her – oder Elke Naters könnte mir echt sympathisch sein. Doch, es sind ihre Allerweltsthemen, die bei mir sofort wahlverwandtschaftliche Gefühle auslösen; die Allerweltsfragen, denen sie in ihrem Buch „G.L.A.M.“ – kurz für Geld, Liebe, Arbeit, Meer – unter Überschriften wie „fett“, „zukunft“, „mode“ oder „schwämme“ in aller notwendigen Kürze nachgeht. Nicht, dass die Gegenstände besonders gewichtig und ihre Überlegungen dazu aufwändig zu lesen wären. Von 14.23 h Graz bis 16.28 h Liezen war ich mit den 161 Seiten durch. Es waren zwei schöne Stunden.

Da ist zum Beispiel die Sache mit der Schönheit. Warum kann ein Gesicht schön sein, das an keiner Stelle perfekt ist? Elke Naters sagt: „Fast alles kann sich ein Gesicht leisten und immer noch schön sein: Einen kleinen Mund, schmale Lippen, eine große Nase, schiefe Nase, hohe Stirn, niedrige Stirn. Selbst die Gesichtsform: breit, schmal, rund, eckig, kann alles schön sein. Nur das Kinn verzeiht keine Unvollkommenheit. Ein fliehendes Kinn, und die ganze Schönheit ist dahin, auch wenn alles andere im Gesicht PERFEKT ist. Das Kinn muß sich immer tadellos vom Hals abzeichnen.“ Und das, scheint mir, gilt ganz besonders für Männer.

Aber das ist dann schon eine Überlegung, der man selbst anhängt. Dass Elke Naters den Leser und die Leserin so leichthin zum Weiterdenken verführt, ist ein markanter Zug ihrer Mini-Essays. „G.L.A.M.“ ist das Buch, das einen Unterschied macht. Gerade weil man sich so oft dabei ertappt, dass man ganz ähnlich reagiert wie die Autorin. Automatisch liest man dann furchtbar aufmerksam, wo denn die eigenen Gedankenspuren, die eigenen Erfahrungen und Träume doch anders laufen.

Metaphorisch gesprochen, ein bisschen anders geschnitten sind die eigenen Überlegungen doch. Leider ist ihr Schnitt nicht so elegant wie bei Naters, bei der die Worte und Sätze einfach wie maßgeschneidert sitzen. Tatsächlich hat die 1963 geborene Autorin erst eine Schneiderlehre absolviert, bevor sie in Berlin Kunst und Fotografie studierte. Deshalb geht es in Ordnung zu sagen, dass Naters’ Prosa auf den ersten Eindruck wie ein modisches H&M-Fähnchen daherkommen mag.

Am Ende entpuppt sie sich aber doch als von einer minimalistischen Qualität wie Prada. Da musste bestimmt manche Naht wieder aufgetrennt und vieles wieder und wieder neu gesteckt werden. Anders gibt es dieses Stilbewusstsein nicht, diese Präzision der Beobachtung und diese Fähigkeit, detailliert, aber knapp Gespräche, Menschen und Situationen zu beschreiben. Und deshalb kann man sie gut verstehen, wenn sie unter dem Begriff „schreiben“ schreibt: „Für jede einsame Stunde am Text – eine Nacht in 1 A Gesellschaft. Sonst bin ich unglücklich.“

Man liest es also: „G.L.A.M.“ ist ein Buch der Lebenskunst. Beispielsweise über die „Hausregeln des Anstands, der Würde, der Lebensart und des guten Benehmens“. Das alltägliche Leben, das Elke Naters beschreibt, besteht oft aus Listen, „was ich definitv noch brauche“, unter dem Stichwort „portemonnaie“ oder einer Inventur des Schranks unter dem Stichwort „kleider“. Dazwischen sind Fotografien gestreut, die zum Beispiel Kate Moss im Burberry-Bikini zeigen, den man sich, weil er, wie man erfährt, gleich weltweit ausverkauft war, auch aus dem Futter des Regenmantels nachschneidern kann. Auf anderen Fotos sind Großstadtstraßen zu sehen und Jude Law im Fernsehen oder die beiden Kinder der Autorin, mit denen sie und ihr Mann Sven Lager in Thailand unterwegs sind.

Das Bilderbuch ist ein Tagebuch ist ein Skizzenbuch. Es ist ein Reisetagebuch zwischen Berlin und Bangkok, wo die Familie zurzeit lebt. Und weil „G.L.A.M.“ ein Buch ist, das einen Unterschied macht, kennt Elke Naters statt „Tristesse Royale“, jener berühmt-berüchtigten Aufzählung all unseres popkulturellen Leids, wirkliche Melancholie. Zum Glück liest man aber auch über das „Problem mit dem täglichen Glück: Ich weiß nicht, wohin damit. Nachts kann ich Bier darauf schütten, reden und meine Freunde umarmen.“

BRIGITTE WERNEBURG

Elke Naters: „G.L.A.M.“ Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001, 161 Seiten, 39,90 DM