Angst vor dem Freihandel

Heute wollen im kanadischen Québec rund 25.000 Menschen gegen die geplante amerikanische Freihandelszone protestieren. Sie fürchten um Ernährungssicherheit und Gesundheitsstandards

von GERHARD DILGER

Ein viereinhalb Kilometer langer und drei Meter hoher Zaun aus Stahl und Beton ist das jüngste Symbol der Globalisierung. Das allgemein als „Mauer“ bezeichnete Bauwerk soll in der kanadischen Stadt Québec die Teilnehmer des dreitägigen amerikanischen Präsidententreffens schützen, das gestern begonnen hat. Bereits vorgestern zirkulierten mehrere „Abschlusserklärungen“, darunter auch das weitschweifige 34-Punkte-Statement, das die 34 anwesenden Regierungschefs erst am Sonntag unterzeichnen werden. Im vierten Abschnitt heißt es in ungewohnter Offenheit: „Wir sind uns bewusst, dass noch viel erreicht werden muss, bis der Prozess der Amerikagipfel für das alltägliche Leben unserer Völker eine Bedeutung bekommt und zu ihrem Wohlergehen beitragen kann.“

Die Auseinandersetzungen über die für 2006 anvisierte Freihandelszone FTAA werden wohl kaum die Gespräche der Staatsoberhäupter prägen. Ohnehin erwartet nicht einmal der vehmenteste Verfechter der amerikanischen Freihandelszone, US-Präsident Bush, irgendein Ergbenis. Die entscheidende Frage des Treffens ist vielmehr, wer an diesem Wochenende die medienwirksame Auseinandersetzung über die FTAA für sich entscheidet – die abgeschirmten Regierungsdelegationen oder die KritikerInnen auf der Straße.

Als Krönung des Gegengipfels der „amerikanischen Völker“, den Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) des ganzen Kontinents organisiert haben, ist die heutige Großdemonstration gedacht. Angereist sind AktivistInnen aus ganz Amerika, darunter auch aus Kuba – obwohl das Land sich nicht an der Freihandelszone beteiligen wird. Auch der französische Bauernsprecher José Bové nimmt am Gegengpifel teil. Die „institutionalisierte Gewalt“ des Freihandels koste Millionen von Menschen das Leben, sagte Bové auf einer Pressekonferenz. Die FTAA sei eine „Dumpingpolitik im Interesse einer Handvoll multinationaler Konzerne“ und versetze dem Streben der Kleinbauern nach Ernährungssicherheit den Todesstoß.

Der US-Verband Trade Watch berichtete bereits vorab aus einem unveröffentlichten Dokument, das als Grundlange für die FTAA-Verhandlungen über die Rahmenbedingungen dienen soll: Vorgesehen sei etwa, dass Regierungen von Firmen zur Rücknahme von Gesundheitsbestimmungen gezwungen werden können. Einen Präzendenzfall hierfür gibt es bereits: Wegen vergleichbarer Regeln des nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta wurde die kanadische Regierung dazu verurteilt, der US-Firma Ethyl Corporation eine Entschädigung von 13 Millionen Dollar zu zahlen. Daraufhin nahm die Regierung das Verbot eines Benzin-Zusatzmittels zurück, das das zentrale Nervensystem schädigen kann.

Die Bürgermeister von sechs südamerikanischen Großstädten, darunter Buenos Aires, Montevideo und São Paulo, wiesen zudem auf den Zusammenhang zwischen neoliberaler Politik und Verelendungsprozessen in ihren Städten hin. Das FTAA in der geplanten Form werde „unsere Industrieanlagen noch weiter schädigen und gravierende Folgen“ zeitigen. „So kann der soziale Zerfall Lateinamerikas kaum aufgehalten werden.“

Thema: Mit wem wollen wir teilen? Globalisierung und Solidarität Samstag um 19.00 Uhr