Die einsame Felsin

von RALF SOTSCHECK

Zum Feiern dürfte ihr nicht zumute sein. Britanniens Königin Elizabeth II. wird heute 75, doch die Party ist ihr von ihrer einzig noch verbliebenen Schwiegertochter Sophie, Gräfin von Wessex, gründlich verdorben worden. Die hatte sich Anfang des Monats von einem als Scheich verkleideten Reporter hereinlegen lassen. Er hatte sich als potentieller Kunde ihrer Werbeagentur ausgegeben. Sophie äußerte sich bei heimlich laufendem Tonband nicht nur abfällig über Premierminister Tony Blair und Oppositionsführer William Hague, sondern auch über ihre angeheiratete Verwandtschaft. Ihre Schwiegermutter, die Queen, sei ein „altes Tantchen“, sagte sie.

„Wenn Ihre Majestät wütend würde, was sie freilich nicht wird, dann wäre sie jetzt sehr wütend“, sagte einer ihrer Bediensteten. „Sophiegate“, wie die unangenehme Sache heißt, hat weit reichende Konsequenzen. Elizabeth will demnächst Richtlinien für die königliche Familie erlassen, die einen Konflikt zwischen geschäftlichen Interessen und standesgemäßem Verhalten künftig verhindern sollen. Schließlich hat der Verfassungsrechtler Walter Bagehot einmal geschrieben, dass die Entrücktheit vom normalen Leben unerlässliche Voraussetzung für das Fortbestehen der Monarchie ist. So musste Sophie vorige Woche die Leitung ihrer Werbeagentur aufgeben.

Dass ihre Schwiegertochter sie als „altes Tantchen“ bezeichnet hat, macht der Königin wenig aus, sie hat weit Schlimmeres überstanden – zum Beispiel das Jahr 1992, das als „annus horribilis“ in die königlichen Annalen eingegangen ist. Damals ging es Schlag auf Schlag: die Trennung von Prinz Andrew und Sarah Ferguson, die Scheidung von Prinzessin Anne und Mark Philips, die Veröffentlichung von Dianas intimer Biographie, der Abdruck eines Fotos der barbusigen Fergie, an deren Zeh ihr Finanzberater knabbert (Fergiegate), der heimliche Mitschnitt der obszönen Telefongespräche zwischen Charles und seiner Freundin Camilla Parker-Bowles (Squidgygate), die Trennung von Charles und Diana. Und dann brannte obendrein Windsor Castle ab – das alles innerhalb von zehn Monaten. Die Bilder, wie die Queen mit Kopftuch und Gummistiefeln den Feuerwehrleuten zur Hand ging, sind um die Welt gegangen. Es war ihr 45. Hochzeitstag, und Philip war auf einer Auslandsreise. Am nächsten Tag lag sie mit Schnupfen im Bett.

Dagegen ist Sophiegate ein Klacks. Ärgerlich ist nur, dass der Fauxpas die Debatte um die Monarchie neu entfacht hat. Das einflussreiche Boulevardblatt The Sun warnt, dass die Windsors nur dann noch eine Generation weiter regieren können, wenn sie „ihren Stall ausmisten“ – also die Apanage für den weit verzweigten Clan zusammenstreichen.

Ihren Geburtstag wird die Queen heute alleine feiern, die anderen Familienmitglieder haben wichtige Termine. Lediglich Prinz Philip, ihr Ehemann, mit dem sie seit mehr als 53 Jahren verheiratet ist, wird mit ihr anstoßen. Als die beiden 1947 heirateten, gab es in England viele lange Gesichter. Philip von Griechenland besaß weder einen Titel noch Ländereien, er stammte aus dem ärmsten Königshaus Europas und hatte obendrein eine Reihe peinlicher deutscher Verwandter, die auf Seiten der Nazis standen und deshalb aus Philips Biografie herausgestrichen wurden. Philip selbst hat sich auf so mancher Auslandsreise durch rassistische Zitate hervorgetan, etwa in China, wo er sich über die Schlitzaugen lustig machte.

Der königintreue Kolumnist A. N. Wilson glaubt, die Monarchie sei nur noch zu retten, wenn man die Windsors loswerde. Ohnehin sei ihr Thronanspruch historisch „in höchstem Maße fragwürdig“, sagt er und erinnert daran, dass am 9. April 1649, kaum zwei Monate nach der Exekution von Karl I., in Rotterdam ein Kind geboren wurde: „der Sohn von Karl II. und einer Lucy Walter“. Die beiden sollen sogar verheiratet gewesen sein. Der Sohn, der zum Herzog von Monmouth ernannt wurde, probierte später einen Aufstand gegen Jakob II. und wurde hingerichtet. Wilson empfiehlt, den Herzog von Buccleuch zum Nachfolger der Queen zu machen, zumal er mehr Ländereien als Elizabeth und die schöneren Paläste besitze.

Trotz alledem – 70 Prozent der Untertanen wollen die Monarchie, so hat eine Umfrage ergeben. Das britische Volk liebt seine Königin, die im nächsten Jahr ihr goldenes Thronjubiläum begeht. Drei Mal im Juli lädt Elizabeth 8.000 Untertanen und ein paar ausgesuchte Ausländer zur Garden Party ein, bevor sie in den Urlaub nach Schloss Balmoral in Schottland fährt.

Als sie noch ein kleines Mädchen war, spielte Elizabeth am liebsten mit ihren hölzernen Pferden, die sie abends neben ihrem Bett aufreihte, absattelte und striegelte. Heutzutage besitzt sie ein ganzes Gestüt, ihre Pferde gewinnen regelmäßig bei den großen Pferderennen.

Schon in ihren Jugendjahren wurden Elizabeth in die Geheimnisse der Verfassung eingeweiht, und zwar anhand der Werke Walter Bagehots, des viktorianische Herausgebers des Economist. Als Königin befolgte Elizabeth seine Anweisungen: Sie ist stets bereit, zugleich nutzlos und geschäftig zu wirken – und hölzern: Man erinnert sich an ihre Rückkehr von einer langen Auslandsreise, als sie auf dem Flughafen ihren damals sechsjährigen Sohn Charles mit Handschlag begrüßte. Elizabeth ist sie eins der dienstältesten Staatsoberhäupter der Welt. Als sie 1952 nach dem Tod ihres Vaters, Georgs VI., zur Königin von Großbritannien und Nordirland gekrönt wurde, sah die Welt freilich anders aus: Damals regierte sie über mehr als 50 Kolonien. Heute ist das Empire zerfallen, der Einfluss der einstigen Weltmacht geschrumpft. Doch noch erkennen viele Staaten die Queen als ihr Staatsoberhaupt an.

Das wird die 75-Jährige bis zu ihrem Tod auch bleiben. An einen Rücktritt ist nicht zu denken. Seit ihr der Erzbischof von Canterbury zur Krönungsfeier den Kopf mit heiligem Öl einrieb, stehe sie geistig über dem Rest der Menschheit, behauptete sie einmal. Schon Elizabeths absolutistische Vorfahren glaubten, das Amt sei ihnen direkt von Gott in den Schoß gelegt. Eine ordinäre Pensionierung käme deshalb einer Entweihung der Königswürde gleich.

„Es ist nicht meine Aufgabe, zu handeln, sondern zu sein“, hat Elizabeth gesagt. Die Monarchin ist Kirchenoberhaupt, Kommandantin des Heeres und oberste Justizinstanz ihres Landes – allerdings nur in der Theorie. In der Praxis bleibt ihr lediglich ein Vorbehaltsrecht von Bedeutung: Sie darf den Premierminister ernennen und das Parlament auflösen. Wenn es um ihre Finanzen geht, herrscht im Buckingham-Palast Funkstille. Niemand weiß, wie viel sie auf der hohen Kante hat. Schätzungen reichen von bescheidenen 100 Millionen bis zu 4,5 Milliarden Pfund. Genaues weiß nur der Steuerbeamte, der die Akte mit dem Namen „Elizabeth Alexandra Windsor“ hütet. Ohne Zweifel ist sie eine der reichsten Personen der Welt.

Tony Benn vom linken Labour-Flügel brachte vor zehn Jahren eine Gesetzesvorlage ein, die Elizabeth zur normalen Bürgerin gemacht hätte. Die Monarchie sei ein schlau ausgedachter Deckmantel für eine Struktur, in der die Exekutivgewalt niemandem rechenschaftspflichtig sei, sagte Benn. Das widerspreche allen Prinzipien einer Demokratie. Benns Antrag war der erste Versuch seit Oliver Cromwell, die Monarchie per Parlamentsbeschluss abzuschaffen. Dieser war 1649 jedoch erfolgreicher: England wurde damals für elf Jahre Republik.

Gegner der Monarchie hoffen, dass „Sophiegate“ ein weiterer Schritt in Richtung Republik ist. Tony Benn sagte vorige Woche süffisant: „Es ist sehr unfair, der königlichen Familie jetzt die Schuld zu geben. Sie hat sich den Job ja nicht ausgesucht.“ Der Monarchist A. N. Wilson sieht die Zukunft der Monarchie gar nicht rosig: „Die Lichter sind noch nicht ganz verloschen“, schreibt er. „Doch sie flackern in ihren Fassungen.“