Noch mehr Hauptstadt nach Berlin

Mitglieder aller Bundestagsfraktionen fordern: Am Rhein verbliebene Bundesministerien sollen komplett nach Berlin, weil das Bonn-Berlin-Splitting zu teuer ist. Stufenplan sieht Nach-und-nach-Umzug bis 2010 vor. Nordrhein-Westfalen lehnt Pläne ab

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Die „Bundesstadt Bonn“ soll bis spätestens 2010 wieder zu dem werden, was sie vor 1949 schon einmal war: nämlich eine nette kleine Provinzidylle am Rhein. Mitglieder aller im Bundestag vertretenen Fraktionen haben am Wochenende zu einer Initiative aufgerufen, die in Bonn verbliebenen Ministerien vollständig nach Berlin zu verlegen. Der Totalumzug der restlichen sechs „ersten Dienstsitze“ in Bonn, darunter das Verteidigungsministerium, das Umweltressort oder das Entwicklungsministerium, soll „in Stufen“ zwischen 2008 und 2010 stattfinden, so die Forderung von 15 Abgeordneten. Dies sei notwendig, um den Steuerzahler zu entlasten und die Verwaltungsarbeit zu optimieren. Dazu soll das Bonn-Berlin-Gesetz (1994) vom Bundestag geändert werden. In einer ersten Reaktion lehnte gestern Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wolfgang Clement (SPD) diese Pläne strikt ab.

Nach Ansicht des Hamburger SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs können zwei Standorte der Regierung „langfristig nicht funktionieren“. Sowohl der Verwaltungsaufwand als auch die hohen Kosten für Pendler zu den „Kopfstellen“ der Ministerien in Berlin seien „zu ineffizient und zu teuer“, sagte Kahrs zur taz. Immer mehr setze sich bei Parlamentskollegen die Einsicht durch, dass die vereinbarte Aufteilung nicht klappe und die Funktionstüchtigkeit des Staates leide.

Derzeit untersuche auch der Bundesrechnungshof die zusätzlichen Belastungen des Bonn-Berlin-Splittings, erinnerte Kahrs. 1994 hatte der Bund den Umzug auf 20 Milliarden Mark festgelegt und entschieden, sechs Ämter und über 11.000 Beamte weiter in Bonn belassen. Rund 1.200 Bedienstete pendeln noch zwischen Rhein und Spree.

„Nicht sofort“, sondern in einer „Stufenlösung“ soll der Restumzug bis 2010 über die Bühne gehen, so Kahrs. Es müsse dabei ausgelotet werden, „welchen Spielraum Mitarbeiter und Ministerien haben, um nach und nach nach Berlin überzusiedeln“.

Kahrs will bis zur Einreichung eines Gruppenantrags zur „Änderung“ des Bonn-Berlin-Gesetzes die Debatte im Reichstag anheizen, um „Mehrheiten auszuloten“. Klar sei, dass diese von allen Fraktionen getragen werden müsse und „im Konsens mit Nordrhein-Westfalen“ zu geschehen habe. Neben Kahrs unterstützen der SPD-Abgeordnete Reinhold Robbe, FDP-Vize Walter Döring, Petra Pau (PDS) und Oswald Metzger (Grüne) die fraktionsübergreifende Initiative. Döring sprach sich für den Komplettumzug aus, da zwei Standorte zu umständlich und teuer seien. Pau nannte die Überprüfung des „sehr kostspieligen und wenig effektiven“ Bonn-Berlin-Beschlusses überfällig. Unterstützt wird die Initiative auch vom stellvertretenden Unions-Fraktionschef Günter Nooke. Finanzminister Hans Eichel (SPD) könne sich nicht als Sparkommissar profilieren und gleichzeitig den Kosten sparenden Totalumzug zum Tabu erklären, sagte Nooke.

„Not amused“ zeigten sich dagegen die aus NRW stammenden Politker. Während Clement sich „grundsätzlich“ für den Verbleib der sechs Ministerien in Bonn aussprach, plädierten auch Bauminister Kurt Bodewig (SPD) und FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle für die Beibehaltung beider Standorte. Bundeskanzler Gerhard Schröder hatte kürzlich versichert, der Beschluss gelte über das Jahr 2002 hinaus.