Deich ohne Flut

Leverkusen bietet auch beim 1:1 gegen den derzeit formschwachen HSV lediglich Erbsensuppen-Fußball

LEVERKUSEN taz ■ Es drohte ein famoser Nachmittag zu werden in Tablettenland. Einer von der Sorte, die sich einmeißeln ins Fußballgehirn. Sogar die in letzter Zeit ziemlich rare Sonne hatte, als sie sich aufmachte ins ferne Leverkusen, das würzige Aroma dieses Spiels gerochen – und pünktlich um fünfzehn Uhr dreißig streichelten ihre Strahlen die Dächer der Bayarena. Denn auch sie wollte nicht das verpassen, was angeschwollen war unter der Woche: Übungsleiter Berti Vogts hatte zunächst seinen Spielmacher Michael Ballack in aller Offenheit nach der Niederlage gegen Freiburg kritisiert, um schließlich – dem Spannungsaufbau durchaus dienlich – intern seinen Rücktritt anzubieten. Da habe er, so wurde kolportiert, bereits auf gepackten Koffern gesessen. Der Mannschaftsrat jedoch lehnte ab, und der Vorgesetzte fasste wieder Mut. „Berti Vogts“, parlierte er selbstkritisch und wie ehedem in der dritten Person, „darf nie ein Problem für Bayer 04 sein.“ Und dennoch war sich jeder, der an den Mahlzeiten des Fußballs schmeckt, vor der Partie gegen den HSV darüber klar: Vogts würde, eine satte Niederlage gegen die derzeit formschwachen Hanseaten vorausgesetzt, genau zu einem solchen werden. Trotz Leverkusen versprach es also bunt zu werden.

Nun, es wurde grau. Eintopf. Maximal Erbsensuppe. Hinterher wunderten sich alle, dass überhaupt Tore gefallen waren, obwohl diese das Spiel eigentlich ganz treffend charakterisierten. Als sich Töftings Freistoß in der 41. Minute zum 0:1 in den rechten Giebel des Leverkusener Gehäuses senkte, war dessen Flugbahn von Ballack entscheidend abgefälscht worden. Und dem Ausgleichstreffer Kirstens noch vor dem Pausenpfiff lag ebenso wenig ein großer Plan zugrunde.

Ein Spiel ohne jede Drehzahl, ohne Feuer. Von Anfang an war nichts zu sehen von ambitionierten Leverkusenern, obwohl diese mit den nominellen Offensivkräften Kirsten, Rink, Neuville und Zé Roberto aufliefen. Ein einziges Mal während des ganzen Spiels blitzte spielerisches Können auf, als Vranjes in der 15. Minute Ballack perfekt mit dem Außenrist bediente, dieser jedoch, völlig frei vor dem Tor, sich von Hertzsch den Ball wegspitzeln ließ. Dazu kamen ein gefährlicher Freistoß von Zé Roberto und ein paar Einzelaktionen von Rink.

Ansonsten: Ebbe. Der Hamburger Abwehr-Deich, der eine Flut erwartet hatte, war damit überflüssig geworden. Andererseits konnten sich auch die Hamburger Angreifer nie richtig durchsetzen; wenn Chancen herausgespielt wurden, dann waren daran Robert Kovac, Groth oder der giftige Däne Töfting beteiligt. Die zweite Halbzeit: zum Gähnen. Der einzige Aufreger war die späte gelb-rote Karte für Hejduk. Als Töfting zum folgenden Freistoß ansetzte, wussten alle: Wenn das Ding sitzt, dann höchstens abgefälscht.

Nie war herauszufinden, welche Mannschaft denn nun die Meisterschale jagt und wer der Abstiegskandidat ist und Gegnern wie Schweinfurt 05 aus dem Weg gehen will. Auch der Hamburger Niko Kovac bemerkte, dass die Leverkusener „total verunsichert“ waren – und der Punkt deswegen zu wenig. HSV-Trainer Frank Pagelsdorf haderte indes mit dem Zeitpunkt des Ausgleichs: „Schade, dass wir nicht mit der 1:0-Führung in die Pause gehen konnten. Ich bin mir sicher, dass ich die Mannschaft hätte stabilisieren können.“ Der HSV-Coach war dennoch mit der Abwehr zufrieden, nur hätte er sich gewünscht, „dass wir in der Offensive ein wenig mehr Durchschlagskraft entwickelt hätten.“ Immerhin: Der HSV ist jetzt acht Spiele ungeschlagen.

Berti Vogts, der zur Verwunderung des Publikums in der zweiten Halbzeit „einen offenen Schlagabtausch“ gesehen haben wollte, wirkte ebenfalls zufrieden. Das Unentschieden sei in Ordnung, „die Heimniederlagen gegen Freiburg und Cottbus dagegen tun weh.“ Vogts zuversichtlich: „Das sieht nächste Woche in Kaiserslautern schon ganz anders aus“, überhaupt spiele man auswärts viel befreiter.

Zum Schluss ging es noch einmal um seine Zukunft als Trainer. Verhandelt wurde ein Zitat seines Schützlings Kovac: „Vogts bleibt unser Trainer – bis Saisonende.“ Vogts selbst ergänzte den Satz: „Und noch zwei Jahre länger.“ Glaubwürdig klingt irgendwie anders. ERIK EGGERS