Karlsson kommt an

Beim 42. Vorlesewettbewerb gewannen diesmal nicht nur Mädchen, sondern ausnahmsweise auch einmal ein Junge  ■ Von Michaela Soyer

Timo Hempel vom Gymnasium Corveystraße hat sich für den Vorlesewettbewerb etwas Lustiges ausgesucht. „Ich dachte, das kommt besser an beim Publikum“, sagt der Sechstklässler. Aufgeregt ist er nicht, obwohl es bei dem Wettkampf im Hamburger Schulmuseum um den Landessieg geht. Zwölf SchülerInnen der sechsten Klassen aus Haupt-und Realschulen, Geamtschulen und Gymnasien nehmen an der Veranstaltung des Norddeutschen Verleger- und Buchhändlerverbands teil.

Es sind die Bezirkssieger, die alle gerne zum Bundeswettbewerb nach Frankfurt fahren würden. Timo liest einen Ausschnitt aus „Karlsson auf dem Dach“ von Astrid Lindgren. Er hat Ähnlichkeit mit dem Propeller tragenden Helden. Irgendwann haben die ZuhörerInnen das Gefühl, dass er gleich aufs Fensterbrett steigt und selbst losfliegt. Obwohl seine Vorstellung die Jury beeindruckt hat, ist er nicht siegesgewiss: „Ich glaube, dass ein Mädchen gewinnt“, meint der 14-Jährige.

Marie Becker ist eines von drei Mädchen, die eine Geschichte zur Judenverfolgung vorlesen. „Ich interessiere mich für den zweiten Weltkrieg und das Judentum“, sagt die zierliche Zwölfjährige. Sie hat sich einen Auschnitt aus dem Buch von Hans Peter Richter „Damals war es Friedrich“ ausgesucht. „Ich mag Bücher, die mit schweren Schicksalen zu tun haben“, erklärt Marie. Nadin Hag-Jechia findet Pferdebücher am besten. Deswegen hat sie sich für das Buch „Hotel zum grünen Pferd“ von Isolde Pullmann entschieden: „Ich habe nämlich ein eigenes Pferd.“ Sie reitet auch lieber als zu schmökern. „Eigentlich habe ich lesen immer gehasst, erst durch den Wettbwerb ist das spannender geworden für mich“, gesteht die Schülerin.

Nach dem ersten Durchgang müssen die Kinder erneut nach vorne. Diesmal sollen sie einen unbekannten, von der Jury ausgewählten, Text vorlesen. Danach beraten sich deren Mitglieder eine halbe Stunde. Die SchülerInnen wuseln aufgeregt durch den Saal.

Endlich steht die Entscheidung fest. Zwei Sieger werden gekürt: Nadin Hag-Jechia fährt für die Haupt-und Realschulen nach Frankfurt und Timo Hempel für die Gymnasien. „Es ist ein sehr knappes Rennen gewesen“, so ein Jurymitglied. Aber die beiden hätten vor allem den zweiten Text hervorragend gelesen. „Außerdem haben sie die Bedingungen der Jury, zum einen Kontakt zum Publikum und zum anderen Textverständnis, am besten erfüllt.“

Die SiegerInnen erhalten einen Buchgutschein über 50 Mark und weitere 50 Mark für die Schulbibliothek. Der Hauptpreis ist aber die dreitägige Reise nach Frankfurt zum Bundesentscheid. Dort wird Timo auch auf AutorInnen treffen, die die Endrunde begleiten. Vielleicht eine Chance für ihn, künftige Kollegen kennenzulernen. Später will Timo nämlich nicht mehr vorlesen, sondern selber schreiben. „Ich möchte Drehbuchautor werden“, sagt der 14-Jährige.