Nicht im Tiefen gegründelt

■ Auf Kampnagel: Matthias von Hartz inszeniert „Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot“

Die Sehnsucht treibt seltsame Blüten und schürt im zeitgenössischen Glückssucher einen absurden Beschäftigungswahn. Bäume-Peitschen und Stofftiere-Prügeln setzen da ungeahntes ekstatisches Potential frei – im ansonsten so illusionslos um sich selbst kreiselnden Menschenwesen der 90er. „Herzen können nicht kotzen“, lässt uns die Autorin wissen, sind sie auch noch so vollgestopft mit mitleidig gequollenem Gefühl. Und freimütig gibt sie zu, dass sie zwar nicht wisse, wie man/frau glücklich werde, aber doch ein paar Ideen habe, wie man sich derweil beschäftigen könne.

Der Hamburger Regisseur Matthias von Hartz hat Sibylle Bergs Romandebüt Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot, mit dem die scharfzüngige Kolumnistin 1997 schnurstracks zur Kultautorin avancierte, in einer von Anne Kersting neu bearbeiteten Stückfassung auf die Bühne der Kampnagelfabrik gebracht. Und ehrlich gesagt lässt sich nicht eindeutig feststellen, ob die sechsköpfige Personage, die da oben von ihrem Paradiesfleckchen auf uns unerlöste und immer noch auf ein wirkliches Leben hoffende Zuschauer herabagiert, selbst noch unter den Lebenden weilt. Wohl eher nicht. Wahrscheinlich hat die Autorin sie in ihrem gnadenlos sarkastischen Totentanz bereits über die Klinge springen lassen. Die Romanfiguren hat von Hartz mit Pit, Vera, Tom, Nora und Bettina auf fünf reduziert und ihnen dafür die Autorin als Spielleiterin zur Seite gestellt – eine Art Märchenfee, die einem pinkfarben gepolsterten Schneewittchensarg entsteigt.

Und Verena Unbehaun, alias Frau Berg, entfaltet hier aus der anfangs unbeholfenen Kommentatorinnenrolle ein wahrhaft glücklich hysterisches Eigenleben. Sie ist das Biest in dem Land, das Martina Stoian in einer Mischung aus naturalistischem Gartenschauidyll und Jeff Koons-Tableau, mit Kunstfelsen, Goldfischteich und Tulpenfeld vor monochrom blauen Videohimmel, Bergs Visionen von einem sauberen Ländle wortgetreu nachgebaut hat. Selbstverliebte Mustermenschen stöckeln da auf Rollrasen und Kies, posieren unterm Tannenbaum, sammeln Tulpenköpfe.

Die Sehnsucht „nach einem eigenen Menschen“ nagt heftig, doch die Lust ist ihnen schon lange vergangen. Es ist eine Gratwanderung, die der Regisseur seinen Schauspielern abverlangt. Allein die kunstvolle Geschmacklosigkeit der Kostüme (Sharon Rohardt) ist schwer zu (er)tragen. Wer hätte gedacht, dass Glanzstrumpfhosen unter geschlitzten Röcken auf Dauer so wehtun können. Doch wenn sie sich freigespielt haben, stimmen Rhythmus und Gestus von verbalen Textspitzen und der Kunst des nüchtern unverbrauchten Spiels.

Von Hartz, Regie-Spross der „Hamburger Schule“, der sich in den letzten drei Jahren mit Inszenierungen auf Kampnagel, in Leipzig und Dresden einen Namen gemacht hat, macht sein Theater stets nach den Regeln der Popkultur. So ist auch dieses Stück eine fragmentarische Collage, arrangiert in bunten Bildern, Klängen, Textsprengseln und redundanten Handlungen. Im leichengrünen Licht liegen die Protagonisten malerisch hingerafft da. Musik klimpert lieblich, kreischt gleichzeitig schräge. Sie schmiegen die Wangen aneinander, und die Welt leuchtet rosarot. Immer wieder hebt Pit (Michael Bandt) seine Vera (Susanne Jansen) übers Bächlein, bis er unter der Last der Liebesbeweisführung zusammenbricht.

Von Hartz gründelt nicht im Tiefen, kümmert sich wenig um die Beziehungen, die der Roman vorgibt. Die Figuren sind gefangen im Autismus ihrer Befindlichkeit, monologisieren lakonisch ins Publikum, mitunter so, als erzählten sie aus dem eigenen Leben. Dann geht es auf, das Spiel mit Echtheit und Künstlichkeit, Selbstinszenierung und vermeintlicher Authentizität. Der Regisseur schichtet Oberflächen, reibt sie schillernd aneinander – schaler Nachgeschmack inbegriffen und durchaus beabsichtigt.

Irmela Kästner

heute, 27. + 28. 4., 19.30 Uhr, Kampnagel k2