Als Trecking-Guide-Autorin durch die Weltgeschichte

■ Die Vorschau: Die in Bremen aufgewachsene Autorin Malin Schwerdtfeger zappt von Spanien nach Russland in eine namenlose deutsche Großstadt und zurück. Am Mittwoch liest sie aus ihrem Erzähldebüt

„Wenn man zu weit ausholt“, sagt Malin Schwerdtfeger, „wird die Figur sofort unsinnlich.“ Darum lässt sie das auch bleiben. Die Erzählungen der ehemaligen Bremerin stoßen uns Lesende mitten hinein ins kalte Wasser. Anfang und Ende liegen jenseits des ersten beziehungsweise letzten Satzes. Man schreckt auf, wie es die Ich-Erzählerin in „Der Schlaf der Vernunft“ getan haben mag, als der blonde Hippie neben ihr im spanischen Überlandbus sie fragt: „Fumas?“ „Schon habe ich den Joint im Mund, wie Mauri ihn immer baute.“ Unvermittelt befinden wir uns im Leben der Figur, einem Abschnitt ihres Lebens. Dieser Mauri spielt eine Rolle.

Und er ist Vergangenheit.

Nach und nach entdecken Schwerdtfegers Texte Vorgeschichten, Orte und Beziehungen. Der Ton ist unaufgeregt, die Zeichnung der Figuren schlicht, aber wirkungsvoll. Und spätestens nach der letzten der zehn oder zwanzig Seiten sind wir neugierig, wie's denn weitergeht mit den jungen Damen und Herren. Aber das verrät uns die Autorin nicht. Was nicht schlimm ist, schließlich befinden wir uns kurze Zeit später an einem ganz anderen Ort, bei einem ganz anderen Menschen.

Schwerdtfeger erzählt von jungen Frauen, die ihre Mutter kaum zu Gesicht bekommen, weil sie als Trecking-Guide-Autorin durch die Weltgeschichte reist, während Papa krank im Bett liegt, von Mädchen, die sich um ihre Mütter kümmern müssen. „,Ich werde eine alte Frau sein, bevor meine älteste Tochter überhaupt eine Frau wird', sagte sie und gab mir mit dem letzten Stück Streuselkuchen ein Stück von ihrer Depression. (...) Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte; alles drehte sich nur um Blut und Fruchtbarkeit. ,Du mich auch!', sagte ich, und meine Handinnenflächen begannen zu jucken. Das würde ich nun wieder beichten müssen.“

Die knapp 30-jährige Autorin wirbelt mit Orten und Biografien nur so um sich. Das russische Dorf, in dem sich alles nur um Milch dreht, steht neben der namenlosen deutschen Großstadt, der aus der Mode gekommene Hippie-Wallfahrtsort in der spanischen Provinz neben Jerusalem.

Es sind Dialoge, die wortkarge und gesprächige Menschen gleichermaßen lebendig machen. Gerade weil man nie alles erfährt. Durch Weglassen entsteht eine genaue Zeichnung der Figuren, die vieles nur anzureißen braucht, um die Atmosphäre deutlich werden zu lassen, in denen sich das Leben der Figuren abspielt. Die Erzählungen Malin Schwerdtfegers bekommen Trägheit, Glück, Verzweiflung und andere Gefühlsregungen in den kleinsten Erscheinungsformen zu fassen. Das überzeugt. Und beschert ein Lesevergnügen, das nur auf den ersten Blick so leicht daherkommt wie die Mädchen in der Titelerzählung. Ein Duft von Parfüm, der am Küchenfenster vorbeihaucht. Im Gegensatz zu ihren Figuren aber geht der Erzählerin die Eleganz auch auf den zweiten Blick nie verloren. Tim Schomacker

Malin Schwerdtfeger liest am Mittwoch, 25. April um 20 Uhr im Ambiente aus „Leichte Mädchen“