Die Außenhaut des Weltalls

Völlig schwerelos: Penelope Wehrli inszeniert Stanislaw Lems Science-Fiction-Roman „Solaris“ in den Räumen der ehemaligen DDR-Staatsbank

Heute, wo es kein klares Bild mehr von der Vergangenheit und der Zukunft gibt, bleiben bloß die Räume, in denen Gestern und Morgen atmosphärisch ineinander fallen.

So ein Raum, der schreit natürlich nach Kunst. Auf dem Boden noch originales DDR-Linoleum, an den Wänden bröckelnder Putz. Hohe Decken und Stuck, der von der Macht des Geldes und dem Prunk noch fernerer Vergangenheiten kündet. Hie und da sind sogar noch ein paar echte Stores hängen geblieben, hinter denen einst DDR-Staatsbanker über den vermutlich maroden Bilanzen brüteten.

Auch in den langen Fluren kann man die DDR fast noch riechen. Aber seit deren Staatsbank von hier verschwunden ist, hat sich kein neuer Nutzer gefunden. Die Dresdner Bank, der das Haus vor 1945 gehörte, residiert inzwischen am Pariser Platz. Der strenge Denkmalschutz steht einer profitablen Nutzung der alten Immobilie noch im Wege, die nun dem Bund gehört. So kam dann die Kunst in den Bau.

Früher einmal hätte man hier sicher gern Heiner Müller gespielt. Heute, wo es kein klares Bild mehr von der Vergangenheit und noch weniger eins von der Zukunft gibt, bleiben bloß jene indifferenten Räume, in denen Gestern und Morgen atmosphärisch ineinander fallen. Weswegen ein Stoff des polnischen Science-Fiction-Autors Stanislaw Lem wie für diesen Ort geschaffen scheint.

Lems Roman „Solaris“ hat auch Andrej Tarkowski zu einem Film inspiriert, in dem Zukunft und Vergangenheit zu einer seltsamen traumbildhaften Gegenwart verschmelzen. Ein Psychologe namens Kelvin soll in einer Raumstation nach dem Rechten sehen und begegnet dort plötzlich seiner längst vestorbenen Geliebten. Das hat mit den merkwürdigen Bedingungen in der Weltraumstation zu tun, die keinen Unterschied mehr zwischen Erinnerung, Fantasie und Wirklichkeit kennen. Penelope Wehrli hat daraus eine dreistündige Theater-Performance gemacht, mit Musik von Hans-Peter Kuhn: eine Art akustisches Bühnenbild, dessen Haupteigenschaft darin besteht, dass man es nicht wirklich wahrnimmt, die Töne so direkt ins Unbewusste rutschen und man irgendwann ebenso zeit- und schwerelos in einer atmosphärischen Zwischenwelt zu schweben beginnt wie der Mann und die Frau, die in der Mitte des Saals in aquariumartigen Räumen agieren.

Dreimal wiederholt sich nun langsam die Geschichte einer seltsamen Begegnung. Die Frau erscheint im gläsernen Zwischenraum, der zwei spiegelverkehrt einander gegenüber liegende Zimmer trennt. Dort lebt Kelvin, in wechselnden futuristischen Klamotten. Die Frau trägt einen Body, der wie mit ihrer Haut verwachsen zu sein scheint. Manchmal streift sie ein zwangsjackenhaftes Kleid darüber. Was die beiden miteinander reden, ist nur über Band zu hören. Tonlose, manchmal fast gehauchte Dialoge. Auf die Außenhaut der Räume werden Szenen projiziert, die direkt aus dem Gedächtnis Kelvins zu stammen scheinen: Die Frau beim Nägellackieren, auf sommerliche Terrassenmöbel platziert, oder die tödlichen Tabletten, die sich sprudelnd in einem Wasserglas auflösen.

Das alles ist atmosphärisch oft dicht, aber die Pfade der Avantgarde, die hier begangen werden, sind schon ziemlich ausgetreten. Auf den Fluren hört man Texte, die Stanislaw Lems theoretisches Gedankengebäude beleuchten. Der polnische Literaturkritiker Andrzej Wirth spricht da als Lem höchstpersönlich von den erstaunlichen Eigenschaften der Phantomatik, die dahin führen, wo es aus der Welt der erzeugten Fiktionen keinen Ausweg mehr gibt.

Um 23 Uhr konnte man sich jedoch davon überzeugen, dass es aus jeder Fiktion einen Ausweg gibt. Denn da war die Vorstellung zu Ende. Bloß Andrea Hovenbitzer und Jo Kappl, die Darsteller, mussten zwecks Illusionsbewahrung noch so lange im verspiegelten Teil des Bühnenbildes ausharren, bis auch der letzte Zuschauer gegangen war. ESTHER SLEVOGT

Die nächsten Vorstellungen am 25. und 28. April. Staatsbank, Französische Straße 35, Mitte