Hart an der Spaltung vorbeigeschrammt

In Belgrad macht sich Erleichterung breit: Nichts weniger als die Zukunft der Bundesrepublik Jugoslawien stand auf dem Spiel

BELGRAD taz ■ Anspannung in Serbien: Mit großer medialer Aufmerksamkeit verfolgte man am Sonntag hier die vorgezogenen Parlamentswahlen in Montenegro. Radio und Fernsehen berichteten die ganze Wahlnacht hindurch aus Podgorica, prominente Experten beleuchteten in Sondersendungen die komplexe Materie dieser Wahlen.

Ebenso wie in Montenegro blieben viele Bürger Serbiens bis in die frühen Morgenstunden wach, angespannt auf die ersten Hochrechnungen wartend. Denn immerhin ging es hier nicht allein um einen politischen Kampf in der „brüderlichen, christlich-orthodoxen“ Republik – das Fortbestehen der Bundesrepublik Jugoslawien stand auf dem Spiel.

Das Wahlverhalten der Montenegriner wird unmittelbaren Einfluss auf die Zukunft Serbiens haben und womöglich eine Kettenreaktion von Problemen auslösen. Sollte die Föderation zwischen Serbien und Montenegro auseinander fallen, wäre der Status des Kosovo wieder völlig offen. Dieser gilt seit dem 1999 unterzeichneten Friedensabkommen zwischen der Nato und der jugoslawischen Armee als „Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien“ und nicht Serbiens. Die albanischen Parteien würden mit neuer Energie die Unabhängigkeit der Provinz fordern, die Serbien als „untrennbaren“ Bestandteil seines Territoriums betrachtet. Albanische bewaffnete Extremisten in Südserbien und Makedonien würden möglicherweise ihre Kämpfe wieder aufnehmen und erneut territoriale Ansprüche stellen. Sollte die Föderation zerfallen, müssten außerdem in Serbien vorgezogene Wahlen abgehalten werden. Die regierende „Demokratische Opposition Serbiens“ (DOS) würde auseinander fallen, Bundespräsident Vojislav Koštunicá verlöre sein Amt. Die Parteien in der Vojvodina würden sich selbstständig machen und die Autonomie der nördlichen serbischen Provinz fordern. Die Gefolgschaft des gestürzten Diktators Slobodan Milošević würde eine neue Chance wittern.

Der Zerfall des Bundesstaates würde jedoch vor allem die bitternötigen Reformen und Auslandsinvestitionen sowohl in Montenegro, als auch in Serbien, das unter dem katastrophalen Erbe von Milošević leidet, aufhalten. Erneut müssten die beiden sozial und wirtschaftlich ruinierte Republiken einen Sitz in der UN, der OSZE und, was noch wichtiger ist, in der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds beantragen.

So wundert es nicht, dass die meisten serbischen Kommentatoren angenehm überrascht waren von den guten Ergebnissen der Koalition „Gemeinsam für Jugoslawien“ und ihre Sympathien für die Föderalisten nicht verheimlichten. Obwohl die die Unabhängigkeit anstrebende, vom Präsidenten Montenegros Milo Djukanović angeführte Koalition „Sieg für Montenegro“ die stärkste Fraktion im Parlament geworden ist, ist ihr Ergebnis bei weitem nicht so gut, wie sie es erhofft hat. Vor allem bleibt aufgrund dieser Wahlresultate der Ausgang des bevorstehenden Referendums für die Unabhängigkeit völlig offen.

„Für Djukanović ist das ein Pyrrhussieg. In dieser Situation wäre ein Referendum nicht rational“, sagte der Präsident des jugoslawischen Bundesparlaments, Dragoljub Micunović, zur taz. Djukanović habe an Popularität eingebüßt und seinen knappen Vorsprung gegenüber der projugoslawischen Koalition nur den Stimmen der Albaner zu verdanken.

Damit wäre er auf eine Koalition mit der äußerst unangenehmen „Liberalen Union Montenegros“ angewiesen, was er eigentlich unter allen Umständen vermeiden wollte. Serbien werde wohl die Bildung der neuen montenegrinischen Regierung abwarten und dann vorschlagen, die Gespräche über die Föderation in einer ruhigeren Atmosphäre fortzusetzen, so Dragoljub Micunović. ANDREJ IVANJI