Aus Verlierern werden Sieger

Zwar hat die Regierungskoalition die Wahlen in Montenegro gewonnen, die Unterlegenen aber können sich als Sieger fühlen

aus Podgorica ERICH RATHFELDER

Nicht immer ist Jubel befreiend. Als sich gestern Vormittag tausende Anhänger der Bewegung „Sieg für Montenegro“ versammelten, um ihrem Präsidenten Milo Djukanović zuzujubeln, war Enttäuschung zu spüren. Denn das zu diesem Zeitpunkt bekannte vorläufige Endergebnis von 44 Prozent für das Bündnis der Regierungskoalition „Sieg für Montenegro“ blieb weit hinter dem Erwarteten zurück. Da wussten die Versammelten noch nicht einmal, dass nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen nur 42,05 Prozent der Stimmen auf ihr Wahlbündnis entfallen würde.

Noch am Vortag waren die Anhänger Milo Djukanović’ überzeugt, dass ihr Bündnis aus der Demokratischen Partei der Sozialisten (DPS) und den Sozialdemokraten (SDP) über 50 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen könnte. Jetzt aber ist man auf die dritte Kraft, die Liberalen, angewiesen, die mit 7,65 Prozent abgeschnitten haben (siehe untere Grafik). Eine Zweidrittelmehrheit für Djukanović gibt es also nicht.

Entsprechend gelöst war die Stimmung beim oppositionellen Bündnis „Gemeinsam für Jugoslawien“. In der Wahlnacht fuhren Autokolonnen hupend durch die Straßen Podgoricas. Denn die 40,67 Prozent der Stimmen für das Bündnis bedeuten einen unerwarteten Erfolg für jene, die zwar nach außen Siegeszuversicht vertreten, nicht aber wirklich an ein so gutes Abschneiden geglaubt hatten. Mit den nun zu erwartenden 33 Sitzen im Parlament darf die Opposition hoffen, den Zug in die Unabhängigkeit noch aufzuhalten.

Erheblich zu diesem Erfolg beigetragen hat die hohe Wahlbeteiligung von 81 Prozent. Denn viele, die mit dem Kurs Djukanović’ nicht einverstanden waren, aber noch vor Jahresfrist auch nicht für Leute stimmen wollten, die Slobodan Milošević nahe standen, gingen jetzt wieder wählen. Der Präsident Jugoslawiens, Vojislav Koštunicá, ist für sie durchaus akzeptabel. Und indem die wichtigste Partei der Bewegung „Gemeinsam für Jugoslawien“, die Sozialistische Volkspartei, sich vor Monaten von Momir Bulatović, ihrem alten, mit Milošević durch dick und dünn gegangenen Führer, lossagte, versuchte sie, sich das Image von DOS zunutze zu machen: Worte wie Demokratie und Minderheitenrechte waren ihnen plötzlich wieder geläufig. Bulatović dagegen, der mit einer eigenen Partei angetreten war, ist aus dem politischen Spiel gedrängt. Und auch die rechtsradikale „Serbische Radikale Partei“ bleibt Splitterpartei.

Wie soll es nun weitergehen? Der Schriftsteller Jefrem Brković, demokratisches Urgestein der montenegrinischen Gesellschaft – 1992 aus dem Land verbannt und erst nach einigen Jahren zögerlich zurückgekehrt – meint, Djukanović solle am Unabhängigkeitskurs festhalten. Nur so sieht er die Chance für eine echte Demokratisierung.

Djukanović selbst erklärte auf der „Siegesfeier“ – noch bevor die zweite Hochrechnung bekannt wurde, die den Stimmenvorsprung noch einmal schrumpfen ließ –, er wolle mit den Liberalen eine Koalition eingehen. Zusammen mit den Albanerparteien könne so eine Mehrheit gezimmert werden. Diese Parteien werden Djukanović drängen, die Volksabstimmung über Montenegros Unabhängigkeit von Serbien trotz allem durchzuführen. Daran ließen sie auch gestern keinen Zweifel. Vom Verfassungsprozedere her gibt es die Möglichkeit dazu. Bei einer Volksabstimmung müssen 50 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen schreiten, die einfache Mehrheit genügt. Danach aber muss das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit das Abstimmungsergebnis bestätigen. So jedenfalls ist die Meinung vieler Experten in Podgorica. Wäre dem tatsächlich so, setzte dies nach dem Wahlergebnis vom Sonntag voraus, dass ein Teil des „Gemeinsam für Jugoslawien“-Lagers zu Djukanović überläuft.

Das jedoch ist nicht zu erwarten. Es hat zwar schon Hintergrundgespräche zwischen den beiden Bündnissen gegeben. Doch sowohl in der Sozialistischen Volkspartei als auch im Regierungslager scheinen die Befürworter eines Kompromisses in der Minderheit zu sein. Umso mehr, als Djukanović jetzt auf die Liberalen angewiesen ist. Käme es zu einer Volksabstimmung ohne klares Ergebnis, würden sich die Spannungen zwischen beiden Lagern verschärfen.

In Belgrad aber kann man dem Treiben in Podgorica gelassen zusehen. So gibt es doch noch einen Sieger bei dieser Wahl. Und der heißt Vojislav Koštunicá, der Präsident Jugoslawiens.