Freiheit nicht nur als Utopie

„get that balance“: Junge Künstlerinnen zeigen Arbeiten über Freiheit und Abhängigkeit  ■ Von Christian T. Schön

Schlürfen empfängt zur Zeit die Besucher in der Ausstellung get that balance auf Kampnagel. Petty Changs faszinierende Videoarbeit Fountain (1999) zeigt die Künstlerin vor einem flüssigen Spiegel bei dem Versuch, ihr eigenes Spiegelbild zu begreifen. Mit dem Mund berührt sie die Wasseroberfläche und trinkt schlürfend einen Schluck. Das Spiegelbild verschwimmt. Sie trinkt weiter, und erst nach einer Weile erreicht sie den festen Grund der Spiegeloberfläche. Ein erstaunlicher Erkenntnisprozess.

Selten kann man die Begeisterung und das Engagement der beteiligten Kuratorinnen und Künstlerinnen in einer Ausstellung intensiver spüren. Über zwei Jahre Konzeption und Vorbereitung stecken in dieser Auswahl von durchweg ausgezeichneten Videoarbeiten und Installationen. Künstlerinnen aus elf Ländern (darunter Deutschland, skandinavische, USA, Brasi-lien) sind beteiligt. Um das Aufspüren von Freiheiten, Abhängigkeiten und Macht geht es in diesem ersten, „Ordnungen und Verluste“ betitelten Ausstellungsteil. Ein zweiter soll ab dem 11. Mai folgen.

Eine der spannendsten Arbeiten zu diesem Thema ist Anja Hertenbergers „Dateninstallation“ Störgang (2000): Per Mausklick folgt man einem virtuellen Fotorundgang durch die menschenleere, anonyme Architektur der Stadt, als in den Fotos plötzlich bewegte Irritationen auftauchen. Woher kommen sie? Wer sieht, wer zeigt hier eigentlich, und was? Was ist wirklich zu sehen? Verlust der Ordnung.

Das Verständnis von Emanzipation und Freiheit habe sich verschoben, erklären die Kuratorinnen ihr Konzept. Freiheit wirke nicht mehr als Utopie allein, sondern finde in Handlungen und Auseinandersetzungen statt; sie balanciere immer auf dem schmalen Grat zwischen Gelingen und Scheitern: get that balance.

Diese Gratwanderung vollzieht zum Beispiel eine junge Frau in Corinna Schnitts Film Raus aus seinen Kleidern (1998/99). Scheinbar rational und selbstbewusst erzählt sie ihre Lebensphilosophie. Zusehends entpuppt diese sich jedoch als ein Netz zwanghafter Ordnungen und Fantasien, die um das Thema Wäsche kreisen: „Ich trage meine Kleider am nächsten Tag nur noch mal, wenn ich mich an den Tag erinnern will.“

Daneben sind Brigida Baltars beeindruckend schönes Ritual des Morgennebel-Sammelns und Ester Eva Damens Geschwistermärchen Windhangen (1998) zu bewundern. Exakte Beobachtungen zu Macht und Abhängigkeit liefern Heli Rekulas Nature Studies und Valérie Mrejens kühl-komische Kurzfilme.

Im Zentrum der Ausstellungsräume verweist die von Mette Kit Jensens eingerichtete Sofa-Lounge auf das umfangreiche theoretische Begleitprogramm. Dort werden die freitäglichen Jours fixes, jeweils ab 16 Uhr, stattfinden, die jedem Besucher als „Ort des Dialoges“ offen stehen. Neben den Themen „Feminism in progress“, am 27.4., und „Orte und Beziehungen“, am 4.5., sind Filmabende mit Pipilotti Rist und Sarah Tripp vorgesehen.

Dort darf auch die Frage nach der „Frauenkunst“ gestellt werden, die die Ausstellung nicht explizit aufwirft, die Organisatorinnen aber im Vorfeld immer wieder beschäftigt hat und weiter beschäftigt. – Die Antwort der Ausstellung ist allerdings eindeutig: Hier sind hervorragende Werke junger Künstlerinnen mit ihrer jeweils ganz eigenen und klaren künstlerischen Sprache zu sehen. Punktum. Ohne dem ein „obwohl Frauen ...“ oder „gerade weil Frauen ...“ hinzuzusetzen.

Randnotiz: Am Eröffnungsabend lief im Fernsehen ein Bericht über das Monatstreffen der Tupper-Party-Veranstalterinnen. „Diese Dose passt farblich ausgezeichnet zu meinem Kleid,“ sagt eine der Frauen. Lachen, Applaus. – In einem Video der Ausstellung wäre dieser Satz lustig gewesen. Hier wirkte er erschreckend ernst.

Di - Do 18 - 20 Uhr, Fr - So ab 16 Uhr, Kampnagel k3, noch bis 6. Mai; www.getthatbalance.de