Die letzten Tage von Berti

Bayer Leverkusen hält an seinem Übungsleiter Vogts fest – bis Saisonende und unter Mithilfe von Bundesheilsbringer Rudi Völler. Kraftloser wurde einem Trainer selten der Rücken gestärkt
von FRANK KETTERER

Der Kleine aus Kleinenbroich darf nun also doch noch etwas länger den großen Zampano mimen bei der Betriebssportgruppe des Chemiegiganten Bayer. Darf weiterhin über den Trainingsplatz stiefeln und Anweisungen rufen, darf weiterhin wochenends im Stadion den Luxus zweier Sitzplätze in bester Lage genießen, und er darf, vor allem anderen, weiterhin dem Irrglauben anheim fallen, ein richtig guter Bundesligatrainer zu sein, der Konzepte entwickelt, eine Spitzenmannschaft zusammenstellt und modernste Taktiken vorgibt, gerade so, wie er es den eigenen Fähigkeiten für angemessen hält.

Die Welt könnte also wieder in Ordnung sein für den Fußball-Lehrer Hans-Hubert Vogts, nachdem sich Bayer Leverkusen gestern um die Mittagszeit nun doch entschlossen hat, mit dem ehemaligen Bundestrainer weiterzumachen und ihn nicht vier Spieltage vor Rundenende zu feuern, wie bereits allenthalben und allüberall spekuliert wurde. Wenn, ja wenn es da nicht diesen unsäglichen Zusatz gegeben hätte, der den vordergründigen Treueschwur vollends zur Farce hatte werden lassen: Berti bleibt – bis zu Saisonende. Und mehr als wahrscheinlich ist, dass daraus kein Tag länger wird, was Reiner Calmund gestern höchstselbst herausstrich vor zahlreich versammelter Presse: „Es geht bei uns um vier Spiele“, umschrieb der rundliche Bayer-Manager das vogtssche Haltbarkeitsdatum, eine Zeitspanne, die mit Galgenfrist noch äußerst wohlwollend umschrieben scheint.

Kraftloser wurde einem Trainer jedenfalls selten der Rücken gestärkt. „Berti ist die Nummer eins und bleibt der Chef“, umschrieb Calmund zwar jenes Konzept, mit dem die Leverkusener doch noch ins internationale Geschäft einziehen sollen, gleichzeitig aber ordnete der Dicke dem Kleinen Gehhilfen an: Rudi Völler, neben seinem Job als DFB-Teamchef immer noch Sportdirektor bei Bayer, soll „in nächster Zeit dichter an die Mannschaft rücken“, zudem auch Amateurtrainer Peter Hermann intensiver in die Arbeit mit den Profis eingebunden werden. „Er hat einen sehr guten Draht zur Mannschaft“, begründet dies Rudi Völler, der bereits vor seiner Bundestrainerwerdung als Bayer-Übungsleiter in sieben Spielen ungeschlagen geblieben und somit nach dem Weggang von Christoph Daum auch beim Werksclub zum Heilsbringer mutiert war.

Einigermaßen brisant ist Völlers Bemerkung zudem, schon weil speziell der Werksclub zuletzt nicht gerade unter dem Ruf litt, allzu dünn mit Übungsleitern versorgt zu sein. Schließlich hatte Vogts gleich bei Amtsantritt mit Pierre Littbarski, Toni Schumacher und Wolfgang Rolff jene in der Bundesliga einzigartige Riege installiert, die sich vollmundig „Funktionsteam“ nannte – und in der sich Vogts selbst als eine Art Supervisor sah, bildlich am besten dokumentiert an Spieltagen: Mal saß Vogts oben auf der Tribüne, um sich einen Überblick zu verschaffen, mal unten am Spielfeldrand, um Anweisungen zu geben. Überall und nirgends also, einen richtigen Draht zur Mannschaft konnte der für seine Menschenführung schon zu Bundestrainerzeiten häufig Kritisierte dabei kaum finden. Erschwerend hinzu kam, dass der Mannschaft die Wichtigtuerei des einstigen Dribbelzwergs Littbarski immer mehr über die Hutschnur ging, was dem Vernehmen nach bei einem Trainingsspielchen gar in ein ziemlich rüdes Foul von Michael Ballack an Littbarski gemündet haben soll. Fest steht somit, dass die letzten Tage von Vogts ganz bestimmt auch die letzten Tage des Funktionsteams sein werden, das Experiment wird als ziemlich gescheitert und mindestens ebenso kostspielig in die Vereinsgeschichte eingehen.

Offen bleibt hingegen, warum Bertis Leidenszeit gestern um vier Spieltage verlängert wurde. Sinn macht das keinen, schon gar nicht vor dem Hintergrund, dass die Mannschaft erst kürzlich, bei Bertis positiv beschiedener Vertrauensfrage, deutlichere Hierarchien im Trainergefüge angefordert hatte – und nun mit Völler und Hermann zwei weitere Sachverständige hinzubekommt. Egal wie unter ihnen die Kompetenzen auch verteilt werden, viel mehr als eine machtlose Marionette wird der Kleine aus Kleinenbroich kaum noch sein.

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