Unbestimmte Buchstaben-Bauwerke

■ Die Ausstellung „Volk des Buches“ in der Staats- und Universitätsbibliothek

Ein Meer hebräischer Buchstaben: auf Bildern, auf Textil, auf Pergament; Gebetsschals, siebenarmige Leuchter: Impressionen jüdischen Lebens untermalt von einer Klezmer-Klarinette. Die Ausstellung Volk des Buches in der Staats- und Universitätsbibliothek zeigt Zeichnungen Roman Feiersteins und Textilbilder Ljubow Simonenkos. Das aus Moskau stammende jüdische Künstlerehepaar lebt seit sechs Jahren in Hamburg.

Historisch eingebettet werden ihre Arbeiten durch hebräische Handschriften, die vom 13. bis 19. Jahrhundert in westeuropäischen Skriptorien entstanden. Sie entstammen der Hebraica-Sammlung der Bibliothek, die rund 550 meist sehr gut erhaltene Schriftstücke enthält. Exponate dieser Sammlung wurden bisher nur selten der Öffentlichkeit präsentiert.

„Zwischen den modernen Werken des russischen Künstlerehepaars und den alten westeuropäischen Handschriften besteht ein engerer Zusammenhang als man vielleicht auf den ersten Blick denkt“, erläutert Reformrabbiner Kai Eckstein, der die ausgestellten Handschriften mit auswählte und den Einführungsvortrag zur Ausstellung hielt.

Ein Mohelbuch von 1819 zeigt König Salomo. Sieht man genau hin, ist zu erkennen, dass der König aus Buchstaben zusammengesetzt ist, aus einem Text, der ihm zugeschrieben wird. Aus dem Jahr 1309 stammt eine Handschrift des Buches Hiob. Neben dem Bibeltext sind auch Kommentare abgedruckt. „Man lernt den Text nicht einfach auswendig. Er ist immer Anlass für Diskussion. Man überträgt ihn auf die eigene Zeit und die eigene Situation und fragt sich: 'Was bedeutet er jetzt für mich?'“, erklärt Eckstein diesen Umgang mit der Schrift. Es sei kein Zufall, dass Feierstein, der in Moskau als Architekt arbeitete und mehrmals für Weltausstellungen den Pavillon der Sowjetunion gestaltete, die hebräischen Buchstaben in seiner Bildreihe „Bau der Welt“ als Bauwerke darstelle. In Simonenkos Textbild „Der Tanz“ bildet ein Buchstabe einen Kamin über loderndem Feuer.

In Feiersteins Bildern sind die Buchstaben riesig, die Menschen geraten zu Miniaturen. Die Buchstaben-Bauwerke bleiben merkwürdig unbestimmt. Leuchter, Gebetsschals und Kaftane signalisieren, dass es sich um religiöse Orte handelt, genauer lassen sie sich schwer festlegen. „Die Schrift ist uns von Gott gegeben, wir können versuchen, hinter die Bedeutung der Buchstaben zu kommen, aber ganz erschließen können wir sie nie.“

Katharina Kramer

bis 12.5., MoFr 921 Uhr, Sa 1013 Uhr, Staats- und Universi-tätsbibliothek, Von-Melle-Park 3; Eintritt frei, Führungen Sa 11 Uhr