United Colors of Schmerz

Die Babelsberger „sehsüchte“ sollen zu einem breitenwirksamen Filmfestival werden

Auffallend oft wird über die Themen Tod und Krankheitgearbeitet

Auf dem Programm stehen „Turnschuh und Schamhaar“ oder „Planschen“ oder „Mutti ist die Allerbeste“ – Informationstümpel, aus denen sich weder formale noch inhaltliche Anhaltspunkte fischen lassen. Der Besucher soll seinen Bauch entscheiden lassen.

Nur jeweils ein loser Aspekt bestimmt den Titel der Filmblöcke, die im Rahmen der „internationalen studentenfilmtage sehsüchte“ gezeigt werden. Zum Beispiel ist „Eine runde Sache“ einerseits die Dynamitexplosion auf einem Gletscher, die ein isländischer Experimentalfilm vorführt, andererseits das zentrale Objekt des ausgewählten Fußball-Spielfilms, aber ebenso die dramaturgisch einwandfreie Form eines poetischen Filmporträts aus Russland. Die markante Platzierung und Namensfindung tragen die Handschrift der Programmverantwortlichen: Sie wollen merkwürdige Momente unterstreichen und abseitige Blickwinkel eröffnen.

Mit der Wiedereinführung des renommierten sehsüchte-Festivals 1995 hat sich der junge Studienzweig der Medienwissenschaften ein eigenverantwortliches Praktikum besorgt. „Dadurch hat sich die Veranstaltung vom Filmemacher losgelöst“, erklärt Jeannette Eggert, Mitbegründerin und Produzentin des Vorjahressiegers „Havanna Mi Amore“. „Die Organisatoren präsentieren den Film.“ Das heißt in erster Linie, dass sehsüchte für die Zuschauer veranstaltet wird. Im Gegensatz zu anderen Studentenfestivals ist die Nachwuchsschau auf ein breites Publikum ausgerichtet. Ohne große Namen, ohne Prominenz im Stab arbeiten die Veranstalter mit der „sehsucht“ nach Überraschungen. Die assoziativen Titel der Filmblöcke und die Sonderveranstaltungen am Rande wecken Interesse und die Erwartung eines kleinen Filmerlebnisses.

Aus der Rekordzahl von 750 Einsendungen wurden dieses Jahr 143 Filme ausgewählt, die in den Kategorien Spielfilm, Animationsfilm und Dokumentarfilm prämiert werden. Sönke Wortmann und andere wichtige Künstler zählen zu den ehemaligen Preisträgern. Gut die Hälfte der diesjährigen Arbeiten stammt von deutschen Studenten. Bemerkenswert sei die „Suche nach einer skurrilen Idee mit Schlusspointe“, die die deutschen Studenten von ihren ausländischen Kollegen unterscheide, meint ein Mitglied des Programmkomitees. Im Weltschmerz der Themenwahl trifft sich die internationale Gemeinschaft: hoffnungslose Beziehungskisten, pathologisch intakte Familien und die ratlose Suche nach einer Identität. Auffallend oft wird auch über die Themen Tod und Krankheit gearbeitet.

Der internationale Austausch ist ein weiterer Grundpfeiler des Festivals. Seit 1996 werden die Reisekosten ausländischer Studenten mit einbudgetiert. Das Rahmenprogramm sieht täglich eine wackere Stunde Intensivkommunikation in der Lounge vor. Die wichtigsten Informationen, weiß die Erfahrung, sind allerdings im Abspann zu finden: Auch dieses Jahr treffen sich ausländische Gäste, Besucher und Veranstalter beim täglichen Clubnacht-Event.

Im Mittelpunkt der Rahmenveranstaltungen steht das 30-jährige Jubiläum des Festivals. Ein Nostalgieblock zeigt unter anderem den Siegerfilm 1988 von Sönke Wortmann und eine 1979 in die DDR-Schublade zensierte Doku von Peter Joachim Holz. Eine Podiumsdiskussion erinnert „an die Anfänge als FDJ-Studententage und beleuchtet die politische Veränderung, die Öffnung für westliche Teilnehmer und“, so Jeannette Eggert, die die Diskussion moderieren wird, „das veränderte Selbstverständnis der Festivalmacher“ – von der hochschulinternen Talenteschau zum breitenwirksamen Festival.

Für das Publikum zu programmieren bedeutet auch, sich im Interessenfeld der Wirtschaft zu bewegen und den Studenten Finanzpartner vorstellen zu können. Ein eigener Programmpunkt, das „Pitch 2001“, gibt 15 jungen Autoren die Möglichkeit, ihre Filmidee zu präsentieren. „Das Festival soll den Teilnehmern und den Veranstaltern wichtige Chancen bieten“, so Eggert, „und trotzdem eine Atmosphäre stiften, sich einfach auszuprobieren.“ JULIA ENGELMAYER

Bis 1. 5., HFF Konrad Wolf, Marlene-Dietrich-Allee 11, Potsdam-Babelsberg. Programminformation unter Telefon(03 31) 62 02-7 80 oder www.sehsuechte.de