Erst stirbt der Vulkan, jetzt der Mensch

■ Eine Studie belegt: Die Zeit nach der Pleite hat viele Arbeiter krank gemacht / Zahl der Magen-Darm-Erkrankungen hat sich verdreifacht / Asbest-Belastungen sind „Zeitbombe“

Jahrzehnte hat Hasso Kulla für den Vulkan als Schiffbauer malocht: Stress, Krach, Asbest und Schweißergase haben ihm zugesetzt. Seine Firma gibt es heute nicht mehr, Kulla lebt mit zwei Hörgeräten und nur noch der Hälfte seines Magens. Der Ex-Vulkanese ist kein Einzelfall: Arbeiten macht krank, nicht arbeiten dürfen noch viel mehr.

Das zeigt eine neue Studie des Zentrums für Sozialpolitik. Die Zahl der Magen-Darm-Erkrankungen bei ehemaligen Vulkan-Arbeitern hat sich danach seit dem Konkurs fast verdreifacht, die der Wirbelsäulen- und Atemwegsschäden glatt verdoppelt. Dies ist das erste Ergebnis eines Forschungsprojekts zur Gesundheitsbelastung der Vulkanesen. Uni, IG Metall, der kirchliche Verein „Arbeit und Zukunft“ sowie „Wir Vulkanesen“ unterstützten die Untersuchung. Für die Studie wurden 550 ehemalige Werftmitarbeiter zu ihrem Gesundheitszustand vor und nach Vulkan befragt sowie 3.700 Gesundheitsakten des ehemaligen Bremer Vulkan durchforstet.

Am 15. August 1997 machte der Werft-Riese für immer dicht. Jetzt zeigen sich die Spätfolgen der Knochenarbeit sowie psychosomatische Belastung durch die Arbeitslosigkeit. Gaben nur 16 Prozent der befragten Vulkanesen an, während ihrer Zeit bei der Werft Magen-Darm-Probleme gehabt zu haben, klagten bei der Befragung 1999 38 Prozent über diese Probleme. „Für Stresszeiten ist das eine besonders typische Krankheit“, erklärt Wolfgang Hien vom „Vulkan-Projekt“. Auch die Zahl der Wirbelsäulenerkrankungen stieg in nur zwei Jahren rasant an: von 36 auf 66 Prozent. Über Atemwegs-Erkrankungen klagten 1997 rund 14 Prozent der Werft-Mitarbeiter. Zwei Jahre später sind es 30 Prozent. Auch die Anzahl der Vulkanesen mit psychischen Problemen hat sich fast verdoppelt: von knapp sieben Prozent 1997 auf zwölf Prozent 1999. „Dabei litten die Leute auf'm Vulkan nicht unter mehr Berufskrankheiten als andere Industriearbeiter in Deutschland auch“, erklärt Hien.

Schon während der Zeit auf der Werft waren die Mitarbeiter besonders hoch belastet. Vulkanese sein hieß nicht nur Kumpelgefühl und Maloche, sondern auch ständige Gefahr für fast alle Arbeiter. „Durch Schweißen und Brennen lag die Belastung der Vulkanesen acht- bis zwölffach über dem heute gültigen Grenzwert“, erklärt Soziologe Hien. Zudem starben beim Bau jedes Schiffes durchschnittlich ein bis zwei Mitarbeiter. Besonders fatal hätten sich Asbestose und Asbest-Krebs auf die Vulkanesen ausgewirkt. Hien: „Eine Zeitbombe: Diese Krankheiten brechen oft erst 20 bis 25 Jahren nach der Belastung mit dem Schadstoff aus.“ Seit Mitte der 70er Jahre gingen immerhin fast 600 Anzeigen wegen Asbest-Schäden bei den Berufsgenossenschaften ein.

Heute noch haben rund 25 Prozent der damals Entlassenen keine Arbeit. Hien: „Alle wollten einen Job, Lust auf Faulheit hatte keiner . Die Debatte, die Kanzler Schröder ausgelöst hat, geht in die völlig falsche Richtung.“

Besonders betroffen von der Vulkanpleite sind vor allem die 50 bis 60-Jährigen, von denen heute immer noch fast 50 Prozent keinen Job haben. Sie haben die größte Angst vor der Zukunft, ihr Gesundheitszustand ist besonders schlecht.

Insgesamt machten die Soziologen vier Typen von Ex-Vulkan-Arbeitern aus: Die Resignierten, die Traumatisierten, diejenigen, die sich unter Kontrolle halten (“jemanden wie mich haut nichts um“) und die Kreativen. Einer der wenigen positiven Aspekte der Studie. Hien: „Viele tun jetzt das, von dem sie schon immer geträumt haben: Sie arbeiten als Ehrenamtliche, Freiberufler, Laienwissenschaftler oder sogar als Künstler.“ ksc

Infos bei der „Beratungsstelle für Berufskrankheiten ehemaliger Vulkanesen“, Tel.: 66 82 995 .