Berlin Underground

Seit zwei Jahrhunderten wird gebuddelt: „Der Potsdamer Platz von unten“ fotografiert

Dietmar Arnold steigt seit zehn Jahren in den Berliner Untergrund hinab und erforscht die zahlreichen unterirdischen Bauwerke. Für den schmalen Text- und Bildband „Der Potsdamer Platz von unten“ hat sich der 36-Jährige erstmals ausschließlich dem heute wieder bebauten Areal gewidmet.

Die erste Erkenntnis der Zeitreise durch die dunklen, nassen, staubigen und dennoch faszinierenden Welten von Kanalisation, Tunneln, Schächten und Bunkern: War alles schon mal da. Denn „Berlin wird Weltstadt“ hieß es bereits während des Baubooms, den die Stadt in den Gründerjahren des 19. Jahrhunderts erlebte. Überall wurde gegraben, vor allem auf dem Potsdamer Platz. Theodor Fontane, der um die Ecke wohnte, ließ einen seiner Helden in „Cécile“ vergeblich versuchen, den Platz zu überqueren, „der auch heute wieder wegen Kanalisation und Herstellung eines Inselperrons (Bahnsteig) unpassierbar war.“

Um die Jahrhundertwende sollte sich vor allem im Untergrund des Platzes einiges tun. Zwangsläufig galten die ersten Bauprojekte in den erdigen Schichten den verschiedenen Versorgungssystemen – die es vorher nicht gab. Gasleitungen drangen zum Platz schon 1826 vor, Frischwasserleitungen 1855, bis dahin kam trinkbares Nass nur aus Pumpen. Ab 1873 folgte das Kanalisationssystem.

Berlin erhielt als fünfte europäische Großstadt eine U-Bahn, der erste Bahnhof „Potsdamer Platz“ ging 1902 in Betrieb. Die Gleise lagen auf Fundamenten in einer Tiefe von 13 Metern.

Auch die Nationalsozialisten hinterließen ihre Spuren, den noch heute genutzten Nord-Süd-Tunnel für die S-Bahn, Reste der Germania-Bauten im Tiergarten und zahlreiche Schutzräume im ehemaligen Regierungsviertel, darunter den Führerbunker, dessen Entdeckung bei Bauarbeiten im Oktober 1999 für Wirbel sorgte. Mit der Entsorgung dieser unterirdischen Geschichte tut Berlin sich seit jeher schwer. Sprengungen der Sowjets nach dem Krieg machten meist nur die Zugänge unbrauchbar. Sand drüber, fertig. Das ist heute nicht viel anders. In den Zeiten des Kalten Krieges buddelten sich Ostberliner durchs Erdreich in die Freiheit, Kanalisationsrohre an der „unterirdischen Grenze“ erhielten Gitter, Grenzsoldaten schoben auf „Geisterbahnhöfen“ Wache: Westzüge durchquerten unter Tage den Osten, niemand durfte am Potsdamer Platz mehr aussteigen.

Nach der Wende wurden einst verlassene U-Bahn-Stationen schnell wieder geöffnet. Die Technoszene füllte verlassene Orte unter Tage mit Leben. Und das Ausheben der Baugruben am Potsdamer Platz war bis 1995 eine der Hauptattraktionen. Bis zu 20 Meter tief und mehrere Hektar groß gewährten sie Einblicke in den Berliner Untergrund. Förderten Relikte alter Zeiten hervor, füllten sich mit Grundwasser und bildeten Seen. Von den am Potsdamer Platz verbauten Summen sind „wohl weit über 50 Prozent in den Untergrund geflossen“.

Die Zeitreise durch die Stadt unter der Stadt endet zwar im Hier und Jetzt, kann aber garantiert weitergeschrieben werden. Wie üblich baut Berlin auch im Untergrund vor, um später Kosten zu sparen. So lassen sich rund 70 ungenutzte Verkehrsbauten vom kleinen Tunnelstutzen bis zum Großbahnhof ohne Gleisanschluss finden. Mit den Neubauten unter dem Potsdamer Platz kam ein nagelneuer Geisterbahnhof für die U-Bahn hinzu. „Mit Sicherheit wird hier in den nächsten 20 Jahren kein Zug halten.“ ANDREAS HERGETH

Dietmar Arnold: „Der Potsdamer Platz von unten“. Ch. Links Verlag, Berlin 2001, 109 S., 19,80 DM