Beuys im Wartesaal

Der Kunstverein Harburger Bahnhof präsentiert exklusive Werke aus der Sammlung Falckenberg  ■ Von Christian T. Schön

Was geht eigentlich vor in Harburg? Selten wird der südliche Teil Hamburgs wahrgenommen. Riekhof, Lämmertwiete, Nöldekestraße – schon mal gehört? – Na gut, Cinemaxx Harburg. Technische Universität, ok. Helms-Museum, kann man gelten lassen. Jetzt allerdings hat Harburg einen Kunstverein. Drei Ausstellungsplakate hängen bisher im hauseigenen Café. Eins zur ersten Schau des Schweizer Fotorealisten Franz Gertsch in Hamburg, eins zur Schnittstelle Malerei und eins zu KLAR, der dritten und aktuellen Ausstellung, mit der sich der Kunstverein Harburger Bahnhof schlagartig auf das Parkett der Hamburger Kunstszene gespielt hat.

Die Geschichte des Kunstvereins ist rasant: Vor zwei Jahren entdeckten zwei Harburger Künstler den ehemaligen Wartesaal Erster Klasse im Harburger Bahnhof. Da das alte Gebäude aus Denkmalschutzgründen nicht abgerissen werden durfte, war die Bahn bereit, die Räume einem Kunstverein zur Verfügung zu stellen. Dieser gründete sich dann im November 1999, und nach einjährigen Verhandlungen und einer umfangreichen Renovierung des denkmalschutzwürdigen Raumes wurde im November 2000 schließlich die erste Ausstellung eröffnet.

In dem großen, freundlichen Saal des Kunstvereins mit der his-torischen Holzdecke residiert zurzeit ein Teil der umfangreichen Kunstsammlung Falckenberg: Kunst von 1964 bis 2000. Der Titel KLAR verweist auf die Auswahlkriterien für die Ausstellung: Jeweils ein spezifisches Werk eines Künstlers, das klar dessen künstlerische Sprache und Handschrift ausdrückt, soll gezeigt werden.

Natürlich sind die Unverkennbaren Beuys, Christo, Rauschenberg und Warhol dabei. Aber auch erfrischend junge Arbeiten werden hergezeigt: Thomas Grünfelds Wolpertinger, Frank Ackermanns winzige, akribisch angefertigte „Mental Maps“ (2000) und Christian Hahns (Jahrgang 1969) poppige Wolkenblasen, aus denen sich wirre Menschen- und Stofftiergesichter formen lassen.

Kurz, ein Querschnitt durch Falckenbergs Sammelsurium klassischer und aktueller Gegenwartskunst internationaler und deutscher KünstlerInnen – darunter zahlreiche HamburgerInnen.

Zu den Glanzstücken der Ausstellung gehören aber die kaum bekannten, untypischen Werke der internationalen Größen: Gerhard Richters surreale, an M. C. Escher angelehnten „Neun Objekte“ (1969), Sigmar Polkes ominöse „Magie der Dinge“ (1964) sowie eine frühe Fotoarbeit von und mit Gilbert & George bei ihren Lieblingsbeschäftigungen: Reden, Rauchen und Trinken.

Bisher war Falckenbergs Sammlung nur nach Anmeldung in einem alten Bauernhaus in Fuhlsbüttel zugänglich, das jedoch abgerissen werden musste. Ab Juni wird sie wieder – dann zusammen mit den Sammlungen F.C. Gundlach und Klaus Lafrenz – in zwei alten Produktionshallen (4600 Quadratmeter) der Phoenix-Werke zugänglich sein.

Dass der Harburger Kunstverein mit abgehobenen Konzepten oder extravaganten Events auf sich aufmerksam macht, ist jedoch – je nach Perspektive – weder zu befürchten noch zu erwarten: Vorerst setzt er auf die verlässliche Basis der Malerei der letzten Jahrzehnte. Vor allem KünstlerInnen aus Hamburg und Harburg werden dabei berücksichtigt. So können ab Juni die Stipendiatinnen des Künstler zu Gast in Harburg-Stipendiums, Ruth Haberecht und Almuth Linde, dort erstmals an einem würdigen Ort ihre neuen Arbeiten vorstellen. Die meisten Besucher und Vereinsmitglieder stammen bisher vor allem aus dem wohlhabenden Umland von Harburg und Norddeutschland. Im näheren Umkreis wendet sich der Kunstverein an die Harburger Schulen und KunstpädagogInnen.

Fest steht jedenfalls, dass die Hamburger Kunstmeile erfolgreich um die berühmten „zwölf Minuten Fahrzeit mit der S-Bahn vom Hauptbahnhof“ nach Harburg verlängert wurde.

Bis 20. Mai, Kunstverein Harburger Bahnhof, DB-Bahnhof Harburg, zwischen Gleis 3 und 4, 1. Stock. Katalog 65 Mark