das bullenquartett von liverpool
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von RALF SOTSCHECK

Der Streifenpolizist in der Innenstadt von Liverpool fürchtet um sein Leben: Eine Horde von Kindern, alle unter zehn Jahre alt, ist hinter ihm her. Er biegt in die Mathew Street ein, rennt am Cavern Club vorbei, wo die Beatles früher aufgetreten sind, und schlägt an der nächsten Ecke einen Haken. Es nützt nichts, die Kinder holen ihn ein. „Ich habe keine Karten mehr“, ruft der nach Luft ringende Beamte verzweifelt, „ich habe die letzten gerade vor der Schule weggegeben.“ Und dann verflucht er den Polizeipräsidenten von Liverpool. Der hatte nämlich eine großartige Idee. Ihm fiel auf, dass seine Streifenbeamten bei Kindern recht unbeliebt waren. Die Pokémon-Figuren sind dagegen überaus beliebt. Im Laden geben die Kinder ihre letzten Pennies für die Sammelkarten aus.

Also ließ er die Fotos von den 18 Beamten, die in der Innenstadt Streifendienst haben, mitsamt ihrem Namen, Dienstgrad und königlichem Wappen auf Kärtchen drucken. Jede „Copcard“, wie die Dinger heißen, hat eine Nummer. Am wertvollsten ist die Nummer 1, die „Top Copcard“, weil der Boss, Chief Constable Norman Bettison, nicht so oft auf Streife geht. Auf der Rückseite jeder Karte ist einer der sechs Innenstadtbezirke abgebildet. Die Kinder müssen ein komplettes Set sammeln und die Bezirke korrekt identifizieren. Dann bekommen sie einen Preis. Eine Freifahrt in einer Wanne vielleicht?

In Bristol ist die Polizei noch nicht so weit mit der Öffentlichkeitsarbeit. Dort gibt es eine Markthalle, in der die Zeit stehen geblieben ist, und zwar in den Siebzigerjahren: Stände mit Räucherstäbchen und gebrauchten Vinyl-Scheiben, selbst gebasteltem Schmuck und Tofu-Vollkornburgern. Eine angenehme Dope-Wolke durchzieht die Halle, und als ich gut gelaunt wieder auf die Straße trete, kommt neben mir ein Streifenwagen mit quietschenden Reifen zum Stehen.

Ein Polizist und eine Polizistin springen heraus und halten mich am Ärmel fest. Ob ich um fünf Uhr nachmittags schon etwas vorhabe, wollen sie wissen. Ich frage im Gegenzug nach ihren Copcards für mein Bullenquartett. Leider kennen sie die Charme-Offensive ihrer Liverpooler Kollegen nicht und bezichtigen mich der Trunkenheit.

Ich solle mich aber dennoch um fünf Uhr auf dem Revier melden, um an einer Identitätsparade teilzunehmen. Sie wollen einen Gangster überführen, der mir ähnlich sehe. Um Himmels willen, entgegne ich. Was wäre, wenn die Zeugen mich bei der Gegenüberstellung identifizierten? Ich hätte doch bestimmt ein lupenreines Alibi, meint die Polizistin. Mir fallen die „Birmingham Six“ und die „Guildford Four“ ein, die ebenfalls lupenreine Alibis hatten, aber trotzdem 17 Jahre unschuldig hinter englischen Gittern saßen. Ich will nicht der „Bristol One“ werden und erkläre den Beamten, dass ich aus religiösen Gründen nicht an ihrer Show teilnehmen könne. Stattdessen empfehle ich ihnen die Taktik ihrer Liverpooler Kollegen. Als ersten Preis für ein komplettes Set von Copcards könnten sie ja die Teilnahme an einer Identitätsparade ausschreiben.