Leben wird trister

Der 1. FC Kaiserslautern sackt mit dem 0:1 gegen Leverkusen weiter durch, Djorkaeff will nix wie weg

KAISERSLAUTERN taz ■ „Ihr seid gut gewesen, auch wenn ihr verloren habt!“, rief Bayer-Manager Reiner Calmund nach dem 1:0-Sieg von Bayer Leverkusen dem schwer angeschlagenen Lauterer Teamchef Andreas Brehme hinterher. Der Weltmeister von 1990, vor etwas mehr als vier Wochen noch als Wundermann in der Pfalz gefeiert, hatte gerade einen katastrophalen Monat April hinter sich gebracht. Nur drei von 15 möglichen Punkten bei 8:17 Toren in der Bundesliga, dazu die blamablen 1:5- und 1:4-Niederlagen im Uefa-Cup-Halbfinale gegen den CD Alavés – das Image des Rehhagel-Erben und seines Erfüllungsgehilfen Reinhard Stumpf hat schier irreparable Risse bekommen. Doch anstatt sich zu fragen, ob die eigenen tollkühnen Prophezeiungen nicht doch purer Selbstüberschätzung entsprangen, holte der noch unerfahrene Coach den Prügel heraus und verteilte nahezu flächendeckend Strafen. So saßen Pettersson, Reich, Dominguez und Komljenovic auf der Tribüne, Bjelica und der zuletzt so gelobte Ziehl mussten überraschend auf die Ersatzbank.

Nach dem neuerlichen Misserfolg gegen die nun schon im vierten Jahr nacheinander auf dem Betzenberg siegreichen Leverkusener wirkte Andreas Brehme ratloser als jemals zuvor. Seine Worte zur Misere hätten ebenso von Vorgänger Otto Rehhagel stammen können: „Ergebnis katastrophal, viel Nervosität, spielerisch stimmt es nicht.“ Zu den aus der Mannschaft Verbannten hätte er an diesem Nachmittag weitere fünf Spieler beordern können. Mario Basler stand mehr, als dass er lief, Klose versagte kläglich vor dem Tor, von den Läufern Strasser und Buck kam so gut wie nichts. Für den Welt- und Europameister im Dress der Lauterer, Youri Djorkaeff war das alles zum Verzweifeln. Der Franzose, der am Mittwoch zuvor beim 4:0 der „Équipe Tricolore“ gegen Portugal in der zweiten Halbzeit Zinedine Zidane ersetzte und seine gute Leistung mit einem Tor krönte, macht sich inzwischen nicht nur in den eigenen vier Wänden Gedanken um seine Zukunft. „Zur Nationalmannschaft zu kommen nach einer achtmonatigen Verletzungspause, ist wie eine Sauerstoff-Zufuhr, und das beschreibt mein Gefühl nur schwach“, schwärmte der Mittelfeldmann, der zu Andreas Brehme längst ein angespanntes Verhältnis hat. Das Leben in Blau, Weiß und Rot ist fröhlich und beschwingt, der Alltag in Kaiserslautern wird immer trister. Und während der 1. FCK sich zusehends von den Champions-League-Rängen entfernt, ist Olympique Lyon, gleich bei ihm in Décines vor der Haustür, so gut wie qualifiziert für die Königsklasse.

Auch bei Bayer Leverkusen gab es trotz des Erfolges sorgenvolle Mienen. „Unsere Achterbahnfahrt ist damit nicht beendet“, warnte Manager Calmund, freute sich aber angesichts der Niederlagen von Freiburg und Bremen, den vierten Platz verteidigt zu haben. Und mit dem Sieg im breiten Rücken sprudelte es nur so aus ihm heraus. Nein, in der Mannschaftskabine von Bayer sei kein Rudi Völler, kein Reiner Calmund und auch kein Toni Schumacher gewesen. Nach dem Spiel gegen den HSV sei „Berti sehr, sehr deprimiert gewesen“. Nach diesem „Hilferuf“ des Trainers seien sie eben alle noch einmal zusammengerückt. Und so kam es also, dass in Kaiserslautern ganze Heerscharen von Offiziellen aus dem Bayer-Konzern sich die Ehre gaben.

Ob sie gekommen waren, um Berti Vogts zu stützen oder um ihn stürzen zu sehen? Beides war möglich, und Vogts wusste dies am besten. „Wir haben sehr, sehr glücklich 1:0 gewonnen“, gestand er, kleinlaut wie immer, und sah sein Team deshalb siegreich, „weil der eine für den anderen da war“. Dennoch war Vogts anzusehen, wie sehr man ihn die Woche über hatte leiden lassen. „Wir haben eine sehr turbulente Woche erlebt, ich insbesondere“, warb er um Mitleid und machte dabei ein Gesicht wie ein Clown, der lachen muss, obwohl er gerne weinen würde. Warum er nicht in die Offensive ging und seinen Verdienst an diesem Sieg herausstrich, muss tief in seiner Persönlichkeit verborgen liegen. Immerhin hat sich sein Team am Samstag trotz aller Widrigkeiten eines bisherigen Konkurrenten um einen Champions-League-Platz entledigt.

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