Hut ab! Bush, ein cooler Boss aus Texas

aus Washington ELLY JUNGHANS

Ein Cowboyhut mit breiter Krempe. Kein Gesicht darunter, nur eine Luftblase, die andeutet, dass da eigentlich etwas fehlt. Die Leerstelle im täglichen Comic der Washington Post braucht gar nicht den Mund aufzumachen, um von jedem US-Bürger erkannt zu werden. Gestatten, George W. Bush, Präsident ohne Leidenschaft.

Wie bitte? Präsident ohne Leidenschaft? Immerhin ein Mann, der weltweit Leidenschaften erregt: Bush II, dem das Klimaprotokoll keinen Penny wert ist. Der Mann, der seine Verbündeten nie anruft, bevor er Bagdad bombardiert oder verbale Keulen gegen China schwingt.

Die US-Bürger haben ein völlig anderes Bild von ihrem Präsidenten, der heute im Weißen Haus die ersten überstandenen hundert Tage feiern darf. Bush macht keine Schlagzeilen und tritt nur selten im Fernsehen auf. Lieber fliegt er bei jeder Gelegenheit für ein paar Tage auf die Ranch nach Texas, um seiner Frau Laura von der Veranda aus beim Gärtnern zuzuschauen. Ein bisschen langweilig auf die Dauer, aber seine Landsleute sind zufrieden. Nach den turbulenten Clinton-Jahren und dem Wahlchaos in Florida machen auch sie gerne Urlaub von der Politik.

In Abgrenzung zu seinem Vorgänger lässt Bush die Bürger bewusst in Ruhe. Sein Innenleben drängt er ihnen nicht auf. Ob sich Schüler in Kalifornien über den Haufen schießen oder Polizisten und schwarze Jugendliche in Cincinnati Straßenschlachten liefern – er bewahrt Distanz, geht zur Tagesordnung über, meidet Gesten des Mitgefühls.

Der gelernte Betriebswirt regiert wie der Vorstandsvorsitzende eines Großkonzerns. Kein Mikro-Management, keine Irrationalität, keine Passion. Dafür Pünktlichkeit, gebügelte Hemden und geregelte Arbeitszeit. Anders als Vorgänger Bill Clinton vermeidet er es, sich zu verzetteln. Stattdessen befolgt er diszipliniert den Business-Plan seines Chefstrategen Karl Rove, eines farbloses Politberaters, der ihn schon zum Gouverneur machte.

Unternehmensziel Nummer eins ist schon abgehakt: die Sicherung der republikanischen Stammwähler. Für sie installierte Bush einen Justizminister aus dem Lager der religiösen Rechten. Entwicklungshilfeorganisationen, die dem Schwangerschaftsabbruch nicht abschwören, bekommen kein Geld mehr. Das Ergebnis: 95 Prozent der rechten Republikaner geben dem Präsidenten laut Umfragen Bestnoten.

Unternehmensziel Nummer zwei: die Geldgeber bedienen, ein konstantes Leitmotiv von Bushs Politik. Öl-Industrielle, Energieversorger, Pharmakonzerne und die Waffenlobby sollen in vier Jahren seine Wiederwahl finanzieren. Ohne Skrupel kippte der Republikaner teure Umweltbestimmungen, die Clinton gerade erst eingeführt hatte. Sein Vize Richard Cheney, früher selbst im Ölgeschäft, verantwortet die Energiepolitik.

Weil Geld und rechte Stammwähler bei den Kongresswahlen 2002 und den Präsidentschaftswahlen 2004 nicht ausreichen, ist als nächstes die Mitte dran. Bush muss sich wappnen: Interessengruppen prangern ihn in Fernsehspots schon als Umweltgiftmischer an. Mit Blick auf die gemäßigten Wähler aus den Vorstädten entschloss sich der Präsident, Schneemobile im Yellowstone Park zu verbieten und eine Berichtpflicht für Blei-Emissionen einzuführen. Demnächst steht das Konsensthema Bildung auf dem Programm.

Für alle Wählergruppen bestimmt ist die Glaubwürdigkeitskampagne, die Bush an seinen Steuerplänen festmacht. Er will nicht wie sein Vater enden, den der Bruch eines steuerpolitischen Schwurs die Wiederwahl gekostet hat.

Bush II ist auf dem besten Weg, seine Zusagen einzuhalten. Nicht mehr das Ob, sondern nur noch das Wie von Steuersenkungen wird diskutiert. Zwar wollen die Demokraten und einige abtrünnige Republikaner den Umfang seiner Steuerkürzung nicht in voller Höhe mitmachen. Ein von 1,6 auf 1,4 Billionen Dollar gestutztes Paket bringt er jedoch voraussichtlich durch den Kongress.

Bei der Durchsetzung seiner Politik erweist sich Bush als flexibel. Mal lädt er als Konsens-Apostel die Demokraten zum Tee ins Weiße Haus. Dann wieder fährt er in ihre Wahlkreise, wo er die Menschen in Mehrzweckhallen dazu aufruft, ihre demokratischen Abgeordneten unter Druck zu setzen. Statt auf nationaler Ebene attackiert er seine Gegner auf ihrem eigenen Terrain. In hundert Tagen besuchte er 26 Bundesstaaten – ein Rekord.

In Washington hält unterdessen Cheney die Stellung, der alte Weggefährte seines Vaters. Ihm hat es der unerfahrene Präsident zu verdanken, dass die Administration trotz der kurzen Vorbereitungszeit handlungsfähig ist. Manchmal knirscht es dabei allerdings, denn die zweite Reihe in den Ministerien ist noch nicht besetzt. Das Resultat: Ein schlecht informierter Bush beteuert, der Bombenangriff auf Bagdad sei „reine Routine“, als CNN schon längst auf „Breaking News“ geschaltet hat. Oder Taiwan werden U-Boote deutscher Bauart versprochen, ohne dass ein US-Beamter vorher in Berlin angerufen hat.

Wie alle leidenschaftslosen Spieler hat Bush im entscheidenden Moment jedoch unverschämt viel Glück. Ausgerechnet die Außenpolitik verschaffte ihm seinen bisher publikumswirksamsten Erfolg. Mit einer halbgaren Entschuldigung bekam er die in China notgelandete Crew des US-Spionageflugzeuges frei. Kein anderes Thema wurde in den vergangenen drei Monaten von der US-Öffentlichkeit so aufmerksam verfolgt. „Zumindest wissen wir jetzt, dass Bush nicht gemeingefährlich ist und uns in einen Krieg mit China hetzt“, sagte eine demokratische Wählerin in Washington erleichtert.

Doch so glücklich ging die Chinapolitik nicht weiter, auch wenn die jüngsten rhetorischen Affronts in den USA weniger hoch gehängt werden als im Ausland. Hier zeigt sich, dass Bushs Leidenschaftslosigkeit auch zur Schwäche werden kann. Während er selbst Politik als Geschäft betrachtet, vergisst er, die politischen Passionen anderer einzukalkulieren. So überraschte ihn die empfindliche Reaktion der Welt auf seine Taiwan-Äußerung, und er schob eilig nach, dass sich im Prinzip an der US-Politik nichts geändert hat.

Auch in den USA kommt der Tag, an dem die Menschen wieder mehr Leidenschaft und Präsenz im Oval Office verlangen. „Ich glaube, dieser Präsident versteht noch nicht so ganz, in welchem Maße er sowohl König als auch Premierminister ist“, sagt der Historiker Robert Dallek. „Wir haben keine Monarchie, keine Könige und Königinnen. Deshalb spielt der Präsident die Rolle des zeremoniellen Staatsoberhaupts, und dem kann er sich nicht einfach entziehen.“