Einmal kurz eintauchen

Nur wenige Beteiligte können sich an die „Literarische Whiskeyprobe“ mit Rowohlt und Sotscheck erinnern

„Die Frage und der Versuch einer Antwort darauf ist am Rande des Wahnsinns.“Christian Petzold, Regisseur

von THOMAS GERLACH

Münder werden trocken, die Luft wird knapp, einer sitzt erschöpft unterm Ficus – noch zehn Minuten bis zur Whiskeyprobe. Eine Frau mit Kunstperlenkette verdreht sehnsüchtig die Augen, die Menge wogt – noch fünf Minuten. Draußen steht das Volk, drinnen wird eine hochprozentige Eucharistie vorbereitet: 25 Flaschen à 0,7 Liter zu 40 Prozent macht 17,5 Liter Whiskey, macht knapp zwei Wassereimer irischen Whiskey von Werner Hertwig aus Schöneberg. D a mal den Kopf reinstecken! Oder wenigstens den Finger eintauchen. Namen werden gerufen, Menschen sind getrennt, können sich nur winken. Wundertätiges Wasser soll drinnen gereicht werden?! Es ist wie auf einer Wallfahrt, je länger das Warten, um so größer die Vision. Endlich: Alles strömt hinein.

Alles? Die Exparteihochschule ist keine Kathedrale – bloß zweihundert kommen rein. Wir sind drin, werden unsere Zungen netzen, unsere Ohren werden sich auftun und Wundersames hören. Draußen vor der Tür ist es still. Hoffentlich haben die sich ein Bier geschnappt und vor die Glotze gesetzt, die unter der Treppe steht. „Ah, jetzt kommt Cassius Clay mit der einfachen Linkshandarbeit.“ Hans-Joachim Rauschenbach kommentiert dort den 1964er Boxkampf zwischen Sonny Liston und Cassius Clay. So kultiviert, wie die sich vermöbeln, kommt keiner auf die Idee, die Tür zum Saal einzutreten.

Hinein in den Saal: Vorn sitzen Harry Rowohlt und Ralf Sotscheck und rauchen sich warm. „Eine ziemliche Puffbeleuchtung hier!“ grummelt Rowohlt. Macht nichts, Sotscheck findet die Wörter, erzählt von einer alkoholfreien rosa Flüssigkeit, einer Art Anti-Whiskey mit ähnlichen Wirkungen und dem grässlichen Retak, den er am nächsten Morgen bereitet, dem unvermeidlichen Anti-Kater. „Ah, hier ist schon die erste Schluckimpfung angekommen!“ Harry Rowohlt hat’s gerochen, Whiskey liegt in der Luft. Falsche Bärte mit echten Menschen dahinter tragen „Kilbeggan“ unters Volk, für jeden ein Fingerhut voll. Whiskeypfützen auf Alu-Tabletts verteilt auf winzige Becher. Das schöne Zeug, bevor es die Kehle erreicht, ist längst verdunstet. Whiskey im dritten Aggregatzustand, der Saal als Inhalator, eine Frau fächelt sich Erleichterung zu.

„164.000 Flaschen Whiskey werden weltwelt verkauft. In einer Viertelstunde.“ Harry Rowohlt sagt’s mit Andacht. Sotscheck erzählt von den drei Japanern im Whiskeyfass. Die nächste Runde kommt, die Bärte hängen im Nacken. Die Japaner im Whiskeyfass sind tütenzu. Ein Handy zerstört die Andacht, es dingelt und klingelt, ein Mann steht auf. „Ich hab da was erfunden gegen Leute, die in der U-Bahn telefonieren.“ Harry Rowohlt weiß Rat: „Ich geh ganz dicht ran an den, der da telefoniert, und ruf: Komm zurück ins Bett, mir ist kalt!“

So, jetzt ist Zeit für Flann O’Brien. Der war in Dublin im Pub in einer Einzelsäuferkoje und saß da eben, was man so macht in so einer Koje. Und dort wurde er plötzlich überredet, seine Kolumne für die Irish Times zu schreiben. Dass er sie immer noch schreibt, ist gut möglich. Schließlich ist er erst seit 35 Jahren tot und dafür noch mächtig produktiv, wie Harry Rowohlt eingangs betonte. Gut. Jedenfalls hängt an der Einzelsäuferkoje nun ein Messingschild und informiert über das kulturhistorische Ereignis. Die nächste Runde: Acht Jahre alter Locke’s. Das Zeug wird besser. Die Bärte sind ab, die Luft wird fetter. Wusstet ihr, dass Ralf Sotschecks Schwiegervater zu dreißig Jahren verknackt wurde, und das wegen zwei Kuchen? Rowohlt plaudert aus Sotschecks Nähkästchen. Zusammen mit einem Kumpel ist der Schwiegervater vor eine britische Kaserne gelaufen, die beiden haben sich vor den zwei Wachtposten aufgebaut, Kuchen in der Hand und „Happy Birthday“ gesungen. Fragt der eine Posten den anderen: „Hast du Geburtstag?“ – „Nö. Und du?“ – „Nö.“ Mustern die Typen mit den Kuchen. „Na, kommt erst mal rein!“ Drinnen hat Sotschecks Schwiegervater mit seinem Kumpel die Kaserne ausgeräumt. „Bis auf die letzte Patrone.“ Der Schwiegervater wurde verhaftet, der Kumpel floh, ein Passant hatte Pech: Dreißig Jahre für Schwiegervater und Passant. Nach sieben Jahren Begnadigung. Der Passant: sauer. Sagt der Schwiegervater: „Hab dich nicht so, bist doch begnadigt worden.“ Nächste Runde: „Tyrconwell“. Und „Connemara“ gleich hinterher.

Das Pufflicht macht Rowohlts Gesicht rosig. Der sagt: „Mir ist so hymnisch zumut.“ Das hat mit Heimweh zu tun. „Ist der letzte Whiskey schon durch?“ Harry Rowohlt stemmt die Arme in die Seiten und jault mit erstaunlich hoher Stimme das Lied von dem schönen Iren, der 1916 erhängt wurde. Und das Gute am Hängen ist doch, dass man erhobenen Hauptes stirbt. „Und jetzt sing ich die Hamburger A-Hymne“, droht Rowohlt. Eine Flasche klirrt. Dabei mögen doch alle aufstehen. Rowohlt hebt an, einer springt auf, wedelt mit dem Arm, viele tun’s ihm nach. Harry Rowohlt singt ein Lied von Hafen, Alster, Michel und „uns Uwe“, endet, singt noch eine B-Hymne, setzt sich und ist erstaunt: „Dass sich wirklich alle erhoben haben, hat bisher nur in Tirol geklappt.“ Das muss an der Luft gelegen haben: Gasförmiger Whiskey und Parteihochschulendunst führen zu Halluzination und Kontrollverlust. Später soll einer Harry Rowohlt für Karl Marx gehalten haben. Vorsorglich hatte die Kongressleitung einen Krankenwagen vor das Haus bestellt.