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Die Vertreter der Spaßgeneration präsentieren sich als legitime Erben der Achtundsechziger. Schließlich ging es schon in Woodstock „ums Genießen“

Patrick Wagner, Chef des Plattenlabels „Kitty Yo“

von RALPH BOLLMANN

Die Dreißigjährigen hatten es bloß lieb gemeint. Es sei doch „einfach kindisch, den Eltern Vorwürfe zu machen“, sagte der Musiker Ted Gaier. „Boris und Babs wären ohne 68 nicht möglich gewesen“, lobte der Weinhändler Benjamin Karsunke. Man dürfe nicht eine ganze Generation mit dem Argument abtun, sie sei „zu schlecht angezogen“, befand die Journalistin Gisa Funck. Eigentlich, so die Botschaft, hat die Spaßgeneration überhaupt nichts gegen die Achtundsechziger.

Umgekehrt lässt sich das nicht ohne weiteres sagen. Nachdem sie sich all die Komplimente angehört hatte, platzte der früheren Berliner AL-Jugendsenatorin Anne Klein (51) der Kragen. „Wir haben für unsere Ideale gekämpft“, hielt sie der versammelten Jugend entgegen, „ich habe auch viel riskiert.“ In den Statements vom Podium habe sie hingegen „nichts Positives gehört“.

Das Thema, mit dem sich die über 3.000 Teilnehmer und 130 Referenten des taz-Kongresses am Wochende in Berlin beschäftigten, war angemessen unbescheiden formuliert: „Wie wollen wir leben?“ Die Frage also, mit der sich die Menschen beschäftigen, seit sie vor mehreren tausend Jahren dem täglichen Überlebenskampf des Jagens und Sammelns entronnen sind. Und eine Frage, die das Kongresspublikum in zwei große Gruppen spaltete: Hier die Generation der Veteranen aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, die der taz seit ihrer Gründung 1979 die Treue halten; dort die jüngeren Leser, die an ihrem Blatt eher den Spaßfaktor schätzen.

So oft die beiden taz-Generationen auf dem Kongress aneinander vorbeiredeten, so viel haben sie auch wieder gemein. Das mindeste, was die Achtundsechziger ihren Kindern hinterlassen haben, ist ein latent schlechtes Gewissen. „Es gibt so einen komischen Glauben, dass es irgendwo was Gutes geben muss“, formulierte Patrick Wagner, Chef des Plattenlabels „Kitty Yo“. Um in der Gesellschaft etwas verändern zu können, sei es allerdings „extrem entscheidend, Erfolg zu haben“. Wenn man sich schon verkauft, so Wagner bewusst provozierend vorgetragenes Fazit, dann soll man es möglichst teuer tun.

Eine solche Fixierung auf das Reizthema Materialismus verbirgt jedoch, dass die scheinbar so gegensätzlichen Generationen keineswegs zufällig ein und dieselbe Zeitung lesen. Die Vertreter der Spaßgeneration präsentierten sich auf dem Kongress als legitime Erben der Achtundsechziger. Was findet die Generation der Eltern am Lustprinzip denn so verwerflich? Schließlich ging es schon in Woodstock „ums Genießen“, wie die junge Modejournalisten Nike Breyer bündig bilanzierte.

Schon in den Siebzigern funktionierte Zugehörigkeit und Abgrenzung über bestimmte Begriffe und Symbole. Signalisierte einst der Anti-Atom-Button die „richtige“ Einstellung, so sind es heute eben Marken. Für Gitarrist Gaier – einst Punk, jetzt im schicken beigefarbenen Anzug – geht es in beiden Fällen nur um eine Frage: „Wem gehören die Zeichen, wer hat das Copyright?“ Der Plattenproduzent Wagner formuliert es noch etwas schärfer: „Ein Anarchie-Zeichen ist heutzutage ungefähr so subversiv wie ein Daimler-Benz-Stern.“

Für die Worthülsen, die von 68 übrig geblieben sind, wollen die Jüngeren jedenfalls keine Copyright-Gebühr mehr zahlen. „Dass bestimmte Begriffe wie ‚Solidarität‘ auftauchen müssen, damit man sagt: Das ist jetzt politisch“ – das findet Mercedes Bunz, Redakteurin des Musikmagazins de:bug, schlicht albern. Für den ständigen Bekenntniszwang kann sich auch die Journalistin Gisa Funck nicht erwärmen: „Wer ist schon für Krieg?“

„Ein Anarchie-Zeichen ist heutzutage ungefähr so subversiv wie ein Daimler-Benz-Stern“

Auch die Fünfzigjährigen können da nicht weiterhelfen. Für eine bessere Welt ist irgendwie jeder, doch konkrete Ziele sind nach dem Ende der einfachen Gewissheiten schwer zu definieren. Also spricht man lieber über die Mittel als über die Zwecke – und gefällt sich in einer Revolutionsromantik, die letztlich nur eine Form von Lifestyle ist. Es war schon fast Aktionskunst, als Adrienne Goehler, streitbare Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule, am Eröffnungsabend in den Saal rief: „Bildet Banden!“

Doch es gab noch einen anderen Satz, mit dem Goehler eine Brücke zwischen den Generationen schlug. „Wenn wir etwas verändern wollen“, sagte sie, „dann muss immer auch ein bisschen Spaß dabei sein.“ Ins gleiche Horn stieß anderntags die bündnisgrüne Ministerin Renate Künast: Die Agrarwende, so ihre Botschaft, müsse Spaß machen. Es gelte, den Öko-Begriff „in der Zeit von Wellness und Gesundheit positiv zu besetzen“. Da konnte Marita Odia, die bei Slow Food Deutschland für besseres Essen streitet, nur zustimmen. Es gehe „nicht um eine Diät, sondern um Lebensqualität“. All das erinnerte fast an die Antwort, die Aristoteles vor mehr als 2.000 Jahren auf die Frage nach dem richtigen Leben gegeben hatte: Maß halten und glücklich sein.

Bei so viel Behaglichkeit bedurfte es eines Anrufs aus Dakar, um die Kongressteilnehmer auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Madjiguène Cissé, Sprecherin der französischen „Sans Papiers“, war telefonisch aus dem Senegal zugeschaltet, weil ihr die Einreise nach Deutschland verweigert worden war. In drastischen Worten beklagte die grüne Vorstandssprecherin Claudia Roth die Abriegelung der europäischen Außengrenzen: „Es ist eine Schande, dass Frau Cissé nicht hier sein kann.“ Leider bedeute eine Regierungsbeteiligung nicht automatisch die Macht, die Festung Europa zu öffnen. Das half nichts: Wie alle Politiker der grünen Regierungspartei musste sie auf dem Kongress heftige Kritik einstecken. „Hält die uns wirklich für so blöd?“, murmelte eine Zuhörerin.

Einhelliger Applaus dagegen für Vandana Shiva, Trägerin des alternativen Nobelpreises aus Indien. „Ich will so leben, dass ich mich auf meine Zukunft und die meiner Kinder freuen kann“, rief sie in den Saal. Die Senegalesin Cissé dagegen wollte das Motto des Kongresses – „Wie wollen wir leben?“ – lieber nicht übernehmen. Aus der Sicht ihrer afrikanischen Freunde müsse es eher heißen: „Leben wir überhaupt?“ Das Interesse an deutschen Generationendebatten jedenfalls dürfte sich dort in Grenzen halten.