Schlachtfest in Kreuzberg

Nach friedlichen Demonstrationen eskaliert der 1. Mai am Mariannenplatz: Polizei räumt mit Wasserwerfern das traditionelle Straßenfest, Protestierer werfen Steine und bauen Barrikaden

Trotz eines Rekordaufgebots von 9.000 Polizisten und Demonstrationsverboten ist es gestern in Kreuzberg zu schweren Auseinandersetzungen gekommen. Die Polizei löste um kurz nach 18 Uhr das traditionelle Straßenfest am Mariannenplatz mit rund 5.000 Besuchern auf, setzte Wasserwerfer ein und räumte den Platz. Die Begründung: Stein- und Flaschenwürfe auf Beamte. Hunderte TeilnehmerInnen des Festes schlugen zurück. Unter Applaus anderer Besucher trieben sie die Polizisten mit Pflastersteinen und Flaschen vom Platz. Bis Redaktionsschluss mussten sich die Beamten zweimal zurückziehen. Ein Bauwagen und ein Auto gingen in Flammen auf.

Polizeipräsident Hagen Saberschinsky betonte gestern Abend, das Polizeikonzept sei bis 17.40 Uhr aufgegangen. Dann sei am Heinrichplatz „eine Zusammenrottung“ aufgelöst worden, die Leute seien von dort auf das Fest gezogen. Es sei „in hohem Maße ärgerlich, dass die Situation gekippt ist“. Der Fraktionschef der Grünen, Wolfgang Wieland, bewertete die Ausschreitungen als „deutlich heftiger als in in den vergangegen Jahren“.

Bereits nach Abschluss der weitgehend friedlichen Demonstrationen mit insgesamt mehr als 7.500 Teilnehmern war es zu einzelnen Scharmützeln gekommen. Beamte wurden mit Flaschen und Steinen beworfen. Die Polizei riegelte mehrfach Straßenzüge ab.

Mit einem Großaufgebot in den Seitenstraßen und strengen Vorkontrollen rund um den Oranienplatz hatte die Polizei gestern Mittag den 1. Mai in Kreuzberg eingeleitet. Nicht nur Bierbüchsen, auch Deospray wurde beschlagnahmt. Rund 650 Leute hatten sich dort versammelt, um an der erlaubten „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ kommunistischer Splittergruppen teilzunehmen. Während des Marsches Richtung Neukölln schwoll der Zug auf rund 2.500 Teilnehmer an. Gleichzeitig protestierten mehr als 5.000 Menschen am Lausitzer Platz gegen das Verbot der abendlichen „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“. „Selbst wenn sie alle Polizisten aus ganz Europa ankarren, lässt sich der 1. Mai nicht verbieten“, sagte ein Redner. Zu der Demonstration hatten die PDS-Bundestagsabgeordnete Angela Marquardt sowie der Landesvorstand der Jungsozialisten und die Grüne Jugend Berlin aufgerufen, nachdem Innensenator Eckart Werthebach (CDU) erstmals die „Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration“ mit Verweis auf zu befürchtende Ausschreitungen verboten hatte. Das Oberverwaltungsgericht hatte das Verbot am Montag bestätigt.

In zahlreichen Redebeiträgen wurde „die strukturelle Gewalt“ der Bundesrepublik kritisiert. Die politischen Anliegen der „Revolutionären 1.-Mai-Demonstration“ würden mit dem Hinweis auf Gewalt ausgeblendet, sagte eine Sprecherin der Antifaschistischen Aktion. Die Polizei verhielt sich während des Aufzuges betont zurückhaltend. „Hätte sich die Polizei in den letzten Jahren so friedlich verhalten, hätte es auch da keine Randale gegeben“, sagte ein Demoteilnehmer.

Nach Abschluss der Kundgebung zogen gegen 16.30 Uhr mehrere hundert Teilnehmer spontan Richtung Oranienplatz, wo die verbotene „Revolutonäre 1.-Mai-Demonstration“ eigentlich starten sollte. Die Polizei stoppte den Aufzug an der Ecke Adalbertstraße. Darauf flogen erste Steine und Flaschen. Hier wurde auch der FU-Politologe und Demonstrationsbeobachter Wolf-Dieter Narr festgenommen.

Schon am späten Nachmittag zeigte sich, wie schwer das Versammlungsverbot durchzuhalten sein würde. Halb Kreuzberg tummelte sich auf dem Straßenfest am Mariannenplatz, die Oranienstraße glich einer Fußgängerzone. Auffällig viele junge Leute, zum Teil mit Kameras bewaffnet, flanierten – ganz offensichtlich auf der Suche nach Randale – durch den Kiez.

Bereits am Vormittag hatten nach Angaben des DGB 18.000 Menschen an dessen traditionellen Sternmarsch zum Roten Rathaus teilgenommen. Zu einer Kundgebung der PDS auf dem Alexanderplatz kamen etwa 7.000 Menschen. Beide Veranstaltungen verliefen ohne Störungen. DFE/PLU/ROT/SAND