In Moskau heißt die Parole: Sie oder wir

Mit der Gründung eines Eurasischen Bundes setzt Russland auf Abgrenzung vom Westen. Aber der ideologische Roll-back unter Präsident Putin treibt noch andere Blüten. So steht die Erziehung künftig ganz im Zeichen des Patriotismus

MOSKAU taz ■ Die fieberhafte Suche nach einer staatstragenden Ideologie gebar in Moskau kürzlich eine neue politische Vereinigung: den „Eurasischen Bund“. Russlands Präsident Wladimir Putin beehrte den Gründungskongress zwar nicht persönlich, dennoch war er omnipräsent. In den Programmen der Eurasier wimmelte es nur so von Präsidentenzitaten, selbst von Transparenten verkündete er: „Russland – ein eurasisches Land“.

Alexander Dugin, Vorsitzender des Bundes, frohlockte: Mit der Herrschaft Putins habe die eurasische Idee einen echten Sieg errungen. „Wir unterstützen den Präsidenten total, deshalb sind wir das totale und radikale Zentrum“, meinte Dugin in Anspielung auf die zentristische Selbstverortung des Kremlchefs.

Das Gedankengut der Eurasier entwickelte sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Seine Blütezeit erreichte das jewrasistwo nach der Oktoberrevolution in intellektuellen Zirkeln russischer Emigranten im Westen. Die nahe liegende Annahme, den Eurasiern sei es um eine fruchtbare Synthese europäischen und asiatischen Denkens gelegen, führt in die Irre. Nur am Rande bezeichnet Eurasismus asiatische Traditionen, die sich im Wesen des russischen Kolonialisten und seiner Kultur niedergeschlagen haben. Eine Nebensache, wie die Achtung kultureller Selbständigkeit nichtrussischer Minderheiten. Im Gegenteil: Der Eurasismus stellt im Kern eine aggressive Abgrenzungsideologie gegenüber dem Westen dar und liefert dem hegemonialen Führungsanspruchs Moskaus in den angestammten asiatischen Besitzungen und darüber hinaus das ideologische Fundament.

Westlicher Rationalität und Individualismus stehen Kollektivität, Vergeistigung, Spiritualität und leidenschaftliche Selbstaufgabe gegenüber. Überlegenheitswahn, der im russischen Messianismus mündet und die Notwendigkeit autoritärer Herrschaftsformen begründet. Mit Blick nach Westen gab Dugin die Parole aus: Sie oder wir. Nüchtern besehen ist der Eurasismus eine aggressive Rückzugsideologie, die immer populär wird, wenn russische Modernisierungsversuche zu scheitern drohen.

Bramarbasierende Spinner wie der selbst ernannte Philosoph Dugin überleben auch Dürreperioden. Die Gründung „Ewrasias“ wäre keiner Erwähnung wert, wirkten nicht auch einflussreiche Leute mit. Der Starmoderator des Staatsfernsehens ORT Michael Leontew sitzt im Vorstand, daneben ein russischer Botschafter und bekannte Publizisten. Nicht zu vergessen Veteranen der Eliteeinheit Alpha des Geheimdienstes FSB.

Der Eurasische Bund ist nur ein Mosaikstein des ideologischen Roll-back. Kürzlich segnete Putin einen Fünfjahresplan zur „patriotischen Erziehung der Bürger 2001 bis 2005“ ab. Einkommensdifferenzen und der Verlust spiritueller Werte, glauben die Autoren, hätten den Niedergang des „traditionellen russischen Patriotismus“ eingeleitet. Ihre Diagnose: „Zynismus, Gleichgültigkeit, Individualismus, unmotivierte Aggressivität sowie Verachtung des Staates“ seien weit verbreitet.

Dem sollen „patriotische und militärpatriotische, technische und sportliche Lehrpunkte und Clubs“ entgegensteuern. Das Fach „Sicherheit im Leben“ wird – wie in Sowjetzeiten – zu einem Wehrsportunterricht umfunktioniert. Statt massenhaft zu desertieren, werden Wehrpflichtige der Armee die Türen einrennen, davon träumen die Militärs zumindest. Um deren Unfehlbarkeitsmythos zu erhalten, soll eine Kommission in Lehrbüchern „der Verdrehung und Fälschung der vaterländischen Geschichte“ nachspüren.

Die Mythenproduktion wird angekurbelt. Doch auch „patriotische Souvenirs“ sollen die Fusion von Volk und Armee beschleunigen. So umfasst der Katalog über hundert Maßnahmen, meist militaristischen Charakters. Mit dabei ist auch die orthodoxe Kirche, die den Soldaten die moralischen Grundlagen des Wehrdienstes vermitteln darf.

Die staatlichen Medien sind angehalten, slawische Folklore und die glorreiche Geschichte des Zweiten Weltkriegs verstärkt zu propagieren. Für die Umsetzung des Programms stellte der Kreml 177 Millionen Rubel bereit. Umgerechnet 10 Pfennig pro Bürger. Mehr ist ihm der Patriotismus nicht wert – und das beruhigt. KLAUS-HELGE DONATH