Wetterfrösche zu Sensenmännern

■ Emssperrwerk: Peinlichkeiten und Widersprüche pflastern den Weg des Hauptverfahrens gegen das Riesenbauwerk vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg / Ein Zwischenbericht

Beklagte sind die Macher und Planer des Emssperrwerkes: Bis zu zehn hochbezahlte Beamte der Bezirksregierung Weser-Ems und des Landes Niedersachsen sammeln sich – wegen ihrer gedeckten Kleidung als „schwarzer Block“ bespöttelt – um ihren Prozessbevollmächtigten, den Anwalt Bernhard Stür. Der ist siegesgewiss: „Den Gutachter knack ich. Den Gutachter knack ich!“ Sperrwerkchef Dietmar Starke führt seine Mannen selbst ins Gefecht. Verstärkt wird der Block durch zwei beigeordnete Anwälte der Papenburger Meyer-Weft.

Die Klägerin, der BUND, wird vertreten durch die Landschaftsplanerin Vera Konermann aus Hannover, assistiert vom WWF Bremen und der Hannoveraner LBU. Anwalt Andreas Reich ist das genaue Gegenstück zum Sperrwerkanwalt Stür: eher still, zu zart zum Zanken. Schade eigentlich: Es geht immerhin und eines der derzeit höchst dotierten um am heftigsten umstrittenen Investitionsprojekte Niedersachsens: etwa 450 Millionen Mark sollen an der Ems verbaut werden.

Das Emssperrwerk soll dem Hochwasserschutz dienen und gleichzeitig der Papenburger Meyer-Werft helfen, ihre Tiefseeschiffe aus dem Binnenland durch die flache Ems an die Nordsee zu schleppen. So steht es im nachgebesserten Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Weser-Ems. Im laufenden Hauptverfahren werden alle Belange des Naturschutzes und des Hochwassermanagements noch einmal haarklein durchgearbeitet. Ein Emsstau für die Papenburger Meyer-Werft verändert die gesamte Wasserdynamik von Ems, Leda, Jümme und anderen Zuflüssen bis weit ins ostfriesische Binnenland.

Ob, wann und wie diese Regulierung mit der Emssperre für die Natur und die Menschen zur Katastrophe werden kann, das möchte das Gericht gerne wissen. Die Sperrwerksbauer bieten Statistiken, Modelle, Betriebspläne für Sperr- und Schöpfwerke an.

Zum großen Teil bestehen diese Pläne aber noch gar nicht. So traut sich der Gutachter der Sperrwerksbauer zum Hochwasserschutz, Paul Brinkmann, vor Gericht zu sagen: „In extremen Situationen gehe ich davon aus, dass das Flusssystem nicht aufgestaut wird und ein bereits begonnener Stau abgebrochen wird.“ Brinkmann gibt den Wetterfrosch: „Extreme Situationen kündigen sich lange vorher an.“ Und weiter: „Nach unserer Rechnung könnte es in hundert Staufällen maximal zu einer Extremsituation kommen.“ Und dann? Das Wetter!

Dass das Sperrwerk ein immenser Eingriff in die Natur ist, darüber sind sich alle Beteiligten im Klaren. Nur, wie immens der Eingriff ist, darüber streiten sich die Geister. Da fällt es schon gar nicht mehr auf, wenn das Niedersächsische Landesamt für Ökologie in Gericht mitteilt, eigentlich hätten die vom Sperrwerkbau betroffen Flächen längst als Vogelschutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Damit wären sie als Gebiet durch die EU-Richtlinie Flora-Fauna-Habitat geschützt. Ein Sperrwerkbau wäre dann so gut wie unmöglich. Diese Flächen sind aber nicht als Vogelschutzgebiete ausgewiesen worden. Unehrenhaft, wer Böses dabei denkt ...

Spätestens jetzt, wo vor Gericht jeder Stein an der Ems umgedreht wird, zeigt sich, dass das Sperrwerk womöglich doch zu schnell durchgepeitscht worden ist. „Den Vorwurf, schlampig gearbeitet zu haben, muss ich scharf zurückweisen“, empört sich aber Dietmar Starke, Chefplaner des Bauwerkes gegenüber der taz. „Mit dem Planfeststellungsbeschluss haben wir Rahmenbedingungen bekommen, die feststehen. Jetzt müssen die Details abgearbeitet werden.“ Allerdings wurde gerade dieser Planfeststellungsbeschluss vom Gericht kassiert. Die Folge war ein fast einjähriger Baustopp, eine Menge Zusatzkosten und die Peinlichkeit, den Beschluss nachbessern zu müssen.

Ein Schlag ins Gesicht der Planer muss die Tatsache gewesen sein, dass die Meyer-Werft das Schiff, von dem sie behauptete, es könne nur mit dem Sperrwerk an die Küste überführt werden, ohne Sperrwerk doch ins Meer brachte. Und das kam so: Meyer ließ die „Radiance of the Seas“, ihr letztes großes Schiff, einfach rückwärts fahren. Der Sog der Schiffsturbinen schob sich unter das Schiff und „hob“ es 20 Zentimeter höher über den Emsgrund.

In der Öffentlichkeit war gemunkelt worden, der BUND klage nur, um sich dann außergerichtlich mit den Sperrwerksplanern zu einigen und damit strengere Umweltauflagen aushandeln zu können. Vera Konermann vom BUND: „Wir haben zwar alle Möglichkeiten durchgespielt, aber für eine außergerichtliche Einigung kein Vertrauen in die Behörden.“ Und Dietmar Starke vom Sperrwerk: „Wir sprechen nicht miteinander.“ Man sieht sich also weiter vor Gericht.

Auf drei Tage hatte das Verwaltungsgericht Oldenburg die Anhörung im Hauptverfahren gegen das Emssperrwerk bei Gandersum/Emden angesetzt. Längst nicht genug. Auch die neuen Termine ab dem 14. Mai werden kaum reichen, um zu klären, ob, wann und unter welchen Bedingungen die im Bau befindliche Emssperre in Betrieb gehen darf.

Thomas Schumacher