Schwere Jungs mit Kettensäge

Die Jugendhaftanstalt Oranienburg geht neue Wege bei der Resozialisierung von jugendlichen Straftätern

Die Justizvollzugsanstalt Oranienburg ist einer von fünf Jugendknästen in Brandenburg. Vom alten, verwitterten Gemäuer her vielleicht der schäbigste – und doch ein besonderer. 56 junge Menschen sitzen dort ein, unter ihnen 14-Jährige, Totschläger, Mörder und Sexualverbrecher. Die meisten jedoch wegen leichterer Vergehen. Wie der blonde Maik und der kurz geschorene Christian, beide 18 Jahre alt. Gut zwei Jahre haben sie schon abgesessen, der eine wegen Diebstahl mit schwerer Körperverletzung, der andere wegen räuberischer Erpressung. Bald kommen sie raus. Nicht nur mit schlimmen Erinnerungen: „Hier gibt es kaum Stress“, sagen sie.

Anteil daran haben zwei gestandene Männer. Der eine ist Jurist und Anstaltsleiter: Wolf-Dieter Voigt (45). Der andere ist Holzbildhauer aus Berlin: Rolf Schade (57). Voigt betrachtet den Strafvollzug als eine Dienstleistungsaufgabe. Nicht nur im Sinne des Schutzes der Öffentlichkeit vor verurteilten Straftätern. Ebenso im Sinne der Resozialisierung der Gestrauchelten. Im Land Brandenburg werden etwa 70 Prozent der jugendlichen Straftäter rückfällig, in Oranienburg sind es nur 30 Prozent.

Bei Voigt werden die Leute nicht einfach weggeschlossen und bei „guter Führung“ vielleicht vorzeitig entlassen. Voigt will, dass die Jungs ihre Taten aufarbeiten, sich bewusst werden, was geschehen ist. Und er will, dass sie ihre Ausbildung, die schulische oder berufsvorbereitende, zu Ende bringen. Weil sie das „draußen“ oft nicht packen.

In Oranienburg setzt man auf Lockerungsprogression. So heißt das im Fachjargon. Untergebracht sind die jungen Delinquenten in Wohngruppen. Was heißt, sie werden nach dem Freigang nicht in ihre Zellen eingeschlossen. Jeweils drei, vier Zellen bleiben offen. Im Aufenthaltsraum und in einer kleinen Küche können sich jeweils etwa zehn Inhaftierte frei bewegen. Und im Gegensatz zu anderen Haftanstalten gibt es eine Vollzeitschule – und Projektarbeit. Rolf Schade leitet solch ein Projekt. Einmal wöchentlich kommt er für vier Stunden in den Knast. Im Gepäck hat er dann scharfe Stoßbeitel und – wie an diesem Tag – eine Kettensäge. Seit Jahren arbeitet er schon mit den JVA-Insassen am Holz.

Großplastiken schaffen sie für Kitas oder Kinderspielplätze. Bleibende Werte. Zurzeit haben sie sechs fast meterdicke, übermannshohe Baumstämme in Arbeit. Im Juni sollen sie auf einem U-Bahnsteig am Alexanderplatz ihren Platz finden als harmonisch geschwungene „Cityflowers“ in olivgrünen und orangefarbenen Pastelltönen.

Das ist es, was die Jungs wie Maik und Christian so reizt an dieser kreativen Arbeit. „Macht Laune“, sagen sie und: „macht Sinn“. Wenn die Späne fliegen und der Schweiß läuft, werden Aggressionen abgebaut. Bildhauer Schade ist mit jeweils drei, vier Mann in der großen Holzwerkstatt alleine. Schließer lassen sich nicht blicken. Dabei haben die Jungs Hammer oder Kettensäge in der Hand.

Maik, einst notorischer Schulschwänzer, will nun sogar an einem berufsbildenden Oberstufenzentrum sein Fachabitur machen und später am liebsten studieren. Auf welche Schule er gehen wird, steht schon fest. Dank der Hilfe im Knast.

BERNHARD BREITENFELD/DDP