Beelitzer Spargel ist überall

Mit Verspätung beginnt die Spargelernte im größten geschlossenen Anbaugebiet Deutschlands. Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts wurde im Märkischen das weiße Stangengemüse angebaut, zu DDR-Zeiten aber bekam Weißkohl den Vorzug

Die Saisonarbeiter auf den Brandenburger Spargelfeldern rund um Beelitz südlich von Berlin drehen ungeduldig Däumchen. Die empfindlichen Stangen lassen sich in diesem Jahr wegen der kühlen Witterung besonders lange Zeit. Nun endlich stoßen die ersten weißen Spitzen unter den schwarzen Folien durch die Erdoberfläche. In den nächsten Tagen werden die 1.500 Spargelstecher, die meisten aus Polen und Kroatien, in Deutschlands größtem geschlossenem Anbaugebiet alle Hände voll zu tun bekommen.

Beelitzer Spargel hatte schon Anno dazumal einen guten Ruf. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebten etwa 600 Bauern vom Spargelanbau – und das nicht schlecht. Weil besonders die Berliner die leckeren Stangen nachfragten, bauten sie das Gemüse bald auf 250 Hektar an. Kontinuierlich erweiterten die Bauern ihre Spargelflächen. Doch dann machten die DDR-Planwirtschaftler rigoros Schluss damit. Plötzlich hieß die Plansoll-Parole: Kartoffeln und Getreide zuerst! Der Spargel geriet in Vergessenheit – bis auf eine kleine Anbaufläche von kaum 10 Hektar. „Weißkohl ist sooo gesund“, lautete einer der Werbespots im DDR-Fernsehen der frühen Siebzigerjahre. Wohl vor allem, weil der größere Hektarerträge versprach als der Spargel.

Mit der Mauer fiel auch das Anbauverbot für die Beelitzer Landwirte. Sie wurden wieder das, was sie sein wollten: Spargelbauern. In diesem Jahr wachsen die weißen Stangen auf 640 Hektar. Ein Ende der Expansion ist nicht absehbar, sagt der Chef des Vereins „Beelitzer Spargel“, Manfred Schmidt. In seinem Verein sind die 15 Spargelanbaubetriebe der Region organisiert. 3.000 Tonnen haben sie im vergangenen Jahr geerntet. „In diesem werden es beträchtlich mehr“, sagt Schmidt, der selbst Mitbesitzer eines Spargelhofes ist. 80 Hektar Anbaufläche sind in dieser Saison wieder neu hinzugekommen.

Der karge Sanderboden – die typische märkische Streusandbüchse – bietet einfach gute Voraussetzungen. Wo andere Kulturen kaum Nahrung finden, wächst und gedeiht das königliche Gemüse um so besser. „Dieser Boden macht den besonderen, den unverwechselbaren Geschmack des Beelitzer Spargels aus“, sagt Schmidt. Der sei intensiv und zart wie Butter. Da reiche weder badischer noch bayerischer heran, vom grünen französischen ganz zu schweigen.

Der Erfolg gibt den Beelitzern ohnehin Recht. In Berlin und im Brandenburgischen wird ihnen die Ernte buchstäblich aus den Händen gerissen. Rund 80 Prozent davon verzehren die Gourmets in der Bundeshauptstadt. Der Rest der Ernte verteilt sich auf beinahe ganz Deutschland. Selbst große Handelsketten beliefern inzwischen ihre Supermärkte mit dem märkischen Spargel. Doch nur bis zum Johannistag am 24. Juni, dem Aschermittwoch für die Spargelliebhaber. Die Spargelstecher wandern dann weiter zu den Erdbeerplantagen. Zuvor jedoch werden vom 18. bis 20. Mai wieder Tausende Besucher zum traditionellen Spargelfest in Beelitz erwartet.

Trotz der Erfolgszahlen wird Schmidt bei einem Thema sauer: dem Markenklau. Alle Jahre wieder geschieht landauf, landab in der Mark ein Wunder, das man sonst nur aus der Bibel kennt. Jesus soll mit nur wenigen Laiben Brot und einigen Fischen den Hunger eines ganzen Volkes gestillt haben. Dieses Geheimnis der wundersamen Vermehrung beherrschen heute offenbar auch die unzähligen fliegenden Spargelhändler. Wenn es nach ihnen geht, ist Beelitz überall. Kaum einer traut sich, seine Ware nicht als echten Beelitzer Spargel anzupreisen. Schließlich lässt sich mit dem guten, falschen Namen ein satter Extraprofit einstreichen.

BERNHARD BREITENFELD/DDP