tamtürktür ... der wahre türke (10)
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von BJÖRN BLASCHKE

Kürzlich erlog ich die Verwandtschaft von Saddam Hussein und Ibrahim Tatlises, um gleich im Anschluss zu versprechen, demnächst eine weitere, nur unwesentlich wahrere Legende von des Sängers Entdeckung hinterherzuschieben. Wohlan: Es wird kolportiert, dass Ibo im südostanatolischen Urfa als Anstreicher röböttete und sich die schwere Arbeit mit der eigenen Stimme versüßte. Eines Tages sollen ihn Männer von dem Baugerüst, auf dem er gerade pinselnd piepste, heruntergezerrt und direktemang in einen hermetisch abgeriegelten Raum geschickt haben. Die Grundintention war richtig, weil das, was Ibo zwischen den Schnurrbarthaaren hervorpresste, als er da gerade ach so fröhlich mit der Farbe vor sich hin kleckste, sicher nicht das schöne türkische Lied war „Wer will fleißige Handwerker sehen ...“. Allerdings war der Raum, in den Ibo geführt wurde, keine schalldichte Zelle, die nur von außen zu öffnen war – oder besser: für immer zu verschließen. Nein, es war ein Tonstudio, und die Männer, die ihn eingefangen hatten, waren Musikscouts, deren Ohren fest verkorkt gewesen sein müssen.

Ibos erste Kassette, die 1975 auf den Markt kam, verkaufte sich jedenfalls überhaupt nicht – und das zu Recht! Erst drei Jahre später schaffte er es, sich mit seiner zweiten Kassette über die Gehörgänge direkt in die Hirne der Käufer zu ölen.

Ibos Lieder sirenen von den „vier magischen L“ (Liebe, Leid, Lachen und Lotterleben), die auch die Hauptingredienzien jenes schmierigen Schlacks bilden, von dem auch der deutsche Schlager klebt. Beglitten wird er von Musikern, die traditionelle anatolische Instrumente spielen, zum Beispiel die Saz. Die Melodien, mit denen Ibo und seine Mannen die einen Menschen betören und die anderen stören, gehören in die Sparten „Arabeske“ oder „Halk Müzik“ (Volksmusik). Diese „Stile“ kamen in den Sechzigerjahren aus der östlichen Türkei in den Westen des Landes, um die schönen traditionellen Klänge Istanbuls oder Izmirs zu übertönen.

Ibrahim Tatlises ist dieser Pudelmützenmucke noch heute treu, wie er auf seiner aktuellen Kassette „Selam Olsun“ erneut beweist. Wenngleich der Titel (etwa „Friede sei mit dir“) es nahe legt, waren politische Themen nie sein Fall. „Kara Zindan“ ist nichts als Ibos Protest gegen den „dunklen Kerker“ der Liebe. Selbst sein Türkisch, das klasse kehlig kurdisch klingt, ist einfach nur ein gut gepflegtes, weil ebenso gut verkäufliches Markenzeichen – gleich Rudi Carrells ewigem Käsekauderdeutsch: Ibo, der sich mittlerweile auch als TV-Moderator, Schauspieler und Unternehmer verdingt, ist das praktische Produkt für alle, die einen türkischen Pass besitzen – im wahrsten Sinne des Wortes ein Passepartout.

Warum ich über das Leben des „Türkstars“ fabuliere, wo er doch aus der Harald Schmidt Show so gut wie allen Deutschen bekannt sein dürfte? Weil Phoneten herausgefunden haben wollen, dass man süchtig werden kann nach dem Gejammer des „Türkstars“. Auch ich war einst schwer abhängig – im schönen Sommer des Jahres 1987. Mehr Bekenntnisse ein andermal.