in fußballland
: CHRISTOPH BIERMANN über Freiburgs Vernunft

Fehlerlosigkeit als Makel

Einen Eisbecher holte sich Andreas Rettig noch, bevor er ins Auto zustieg, um sich von mir nach Schalke mitnehmen zu lassen. Sein Wochenende hatte etwas von dem eines Groundhoppers, denn freitags war er bereits in Dortmund gewesen, am Samstagnachmittag hatten wir uns zufällig auf der Tribüne in Leverkusen getroffen und machten jetzt den Weg zum Abendspiel nach Gelsenkirchen gemeinsam. Damit war sein Fußballwochenende aber noch nicht vorüber, denn als Manager des SC Freiburg musste Rettig am Sonntag zurück, sein Team hatte noch ein Heimspiel.

Andreas Rettig ist ein agiler und umtriebiger Mann, der selbstverständlich nicht einfach so durch die Republik tourt. Auch die Fahrt zwischen BayArena und Parkstadion nutzte er über den Eisbecher samt Sahne hinweg für ein Hintergrundgespräch in eigener Sache. Immerhin sucht Rettig für die nächste, nicht mehr so ferne Spielzeit einen Hauptsponsor, der für den Platz auf Freiburger Trikots fünf Millionen Mark zu zahlen bereit ist. Er war inzwischen ein wenig ratlos, denn so recht war er nicht vorangekommen. Die Unternehmen in der Region standen zwar Schlange, um mit dem SC Freiburg zu werben, aber keines war potent genug, den genannten Betrag zahlen zu können. Die Global Player, wie Rettig sie nannte, zögerten hingegen noch.

Ganz automatisch, als wäre ich einer seiner Verhandlungspartner, zählte Rettig noch einmal die Vorteile seines Klubs auf. Sportlich spielt die jüngste Mannschaft der Bundesliga ihre erfolgreichste Saison seit 1995, als sich der SC Freiburg für den Uefa-Cup qualifizierte. Der schuldenfreie Klub hat außerdem in dieser Saison für 20 Millionen Mark ein Jugendinternat fertig gestellt, auch die Imagewerte sind beeindruckend: Bei einer Umfrage unter den Lesern des kicker wurde kürzlich das Image des SC Freiburg als zweitbestes der Liga eingeschätzt, nur knapp hinter Schalke. Bei der Bewertung des Managements lag der SC Freiburg auf Platz vier, vor Dortmund und Hertha. Das Dreisamstadion wurde zum fünftbesten der Liga gewählt und Volker Finke zum zweitbesten Trainer. Der Vorsprung von Ottmar Hitzfeld war minimal.

Rettig dachte laut weiter, wo es denn haken könnte. Fehlt dem Klub etwas Tradition, weil er doch vor nicht einmal zehn Jahren erstmals in die Bundesliga aufgestiegen war? Braucht es den Glanz internationaler Spiele? Spielt Freiburgs geografische Randlage eine Rolle? Vielleicht würde der SC auch noch zu sehr als kleiner Familienbetrieb gesehen, meinte Rettig. Als wir so über die A 3 fuhren, dachte ich, dass man die Idee des SC Freiburg eigentlich nur gut finden könne. So, wie man dem FC St. Pauli nur alles Gute auf seinem Weg wünschen kann. Denn beide Klubs stehen auf unterschiedliche Weise für so etwas wie zivilisatorischen Fortschritt im Fußball. Beim St. Pauli auf etwas rauere urbane Art vor allem durch sein Publikum. In Freiburg umfasst es den ganzen Klub, selbst auf dem Spielfeld präsentiert er eine kickende Grundwertekommission. Eleganz auf spieltaktisch neuestem Stand, auf der Basis von respektvollem Miteinander und gelebtem Integrationswillen im Team.

Super Sache, das Problem dabei ist allerdings, dass all das verdammt vernünftig ist. So was sorgt zwar für höflichen Applaus und beste Imagewerte, aber nicht für Begeisterung. In Freiburg wird kein Bad der Gefühle eingelassen, in dem man zwischen Jubel und Entsetzen, Triumphen und Abstürzen baden kann. Und wer möchte schon mit denen sein, die alles richtig machen? Wer also noch ein Herz zu vergeben hat, wird wohl eher mit den Bayern in Serie siegen wollen, sich den Malochermythen von Dortmund oder Schalke anschließen, vielleicht sogar ans hysterische Hin und Her der Union Berlins oder Offenbacher Kickers dieser Welt. Leider fiel mir das erst Tage später ein, als mein Blick auf den leeren Eisbecher im Fußraum des Beifahrersitzes fiel. Aber was hätte es Andreas Rettig auch geholfen? Hätte ich ihm zu monströsen Fehlern raten sollen?

Fotohinweis: Christoph Biermann, 40, liebt Fußball und schreibt darüber.