Wieder siegt der Realismus

Der FC Valencia ertrotzt sich im zweiten Halbfinale der Champions League ein 0:0 bei Leeds United in geradezu bayrischer Manier: hinten diszipliniert, vorne pragmatisch

LEEDS taz ■ Auch an diesem Abend sahen die Fußballprofis von Leeds United gut aus, nach dem Spiel zumindest. Rosa Krawatte zum rosa Hemd trug Mannschaftskapitän Rio Ferdinand, als er in die Nacht und nach Hause ging. Edelste Qualität natürlich, und wer von ihm nur einen Satz hörte, durfte sich aufregen über diese so verwöhnte Generation von Fußballschnöseln. Ungemütlich werde die Reise zum FC Valencia am nächsten Dienstag anlässlich des Halbfinal-Rückspiels der Champions League, klagte Ferdinand, „nicht einmal ein Kissen nehmen wir mit“. Wer für mindestens zwei oder drei Sätze zuhörte, verstand ihn besser: Er murrte nicht über zu harte Flugzeugsitze, sondern hatte bildlich gesprochen: Ein Tor wäre das Kissen gewesen, dass Ferdinand und Kollegen eine etwas ruhigere Anreise ins Estadio Mestalla versprochen hätte. Doch das 0:0 im Hinspiel am Mittwoch im Stadion an der Elland Road gab dem Dritten der englischen Meisterschaft wenig Komfort.

Europacup-Hinspiele sind die Partien, in denen es auch bei Unentschieden Sieger und Verlierer gibt. Und der FC Valencia ließ von Anfang an wenig Zweifel, welchen Gewinn er in Leeds erzielen wollte. Tore verhindern hatte Priorität. So komplettierten die Spanier einen Tag nach dem 1:0 von Bayern München gegen Real Madrid im anderen Halbfinale den Sieg des Realismus über die Romantik. Mit Bayern und Valencia, das bereits vergangene Saison im Champions-League-Finale stand, gewannen die beiden Teams die Oberhand, die das Werkzeug für Europacup-Hinspiele am besten beherrschen: Ihre Defensive ist so diszipliniert wie intelligent, ihr Angriff bestenfalls pragmatisch. Im 15. Champions-League-Spiel dieser Saison blieb Valencia zum achten Mal ohne Gegentor, Torwart Santiago Cañizares und ein Innenverteidiger, Roberto Ayala, leisteten nicht unerwartet den größten Anteil. Und als sie aufgehört hatten zu spielen, machte ihr Trainer, der Argentinier Héctor Cúper, genauso nüchtern weiter. Was solle er sagen, ob das Ergebnis gut oder schlecht sei, gab er auf der Pressekonferenz eine Frage zurück: „Ein Resultat ist ein Resultat.“

Wie immer spielte Leeds United auch gegen Valencia mit mehr Hunger, mehr Wucht, mehr Fehlern als irgendein Europapokalanwärter in den vergangenen fünf Jahren. „Bei welchem Klub auch immer ich in meinem Leben noch arbeiten werde“, sagte ihr Trainer David O’Leary, „eine Sache werde ich immer schaffen: Teamspirit. Einen Familienzusammenhalt.“ Neun der 18 Profis, die gegen Valencia im Aufgebot standen, hat sich der Verein in der eigenen Jugendabteilung großgezogen, das Durchschnittsalter der Elf beträgt 24. Mancher, wie der ansonsten in dieser Saison so emsige Mittelfeldspieler Lee Bowyer (24), konnte die Aufregung über so einen großen Auftritt nicht verbergen, besonders in der ersten Halbzeit versprang ihm der Ball erstaunlich oft. Aber einer wie Stürmer Alan Smith (20), „der Terror von Europa“ (Daily Express), zeigte wieder, wie diese Elf tickt.

Nach drei Minuten hielt sich Smith’ Gegenspieler Mauricio Pellegrino das Schienbein – und Smith bekam den Freistoß. Smith kann schauen wie ein Engel; und dann tritt er, rangelt, zerrt an Gegners Trikot. In der englischen Premier League hat er die meisten Fouls begangen – als Stürmer. Als er im November zum ersten Mal zur englischen Nationalelf eingeladen wurde und sich beim Mittagessen neben Martin Keown, einen Verteidiger von Arsenal London, setzte, fragte Keown: „Und: Trittst du mich jetzt?“ Sie mussten beide lachen. Denn die Härte von Smith wie die von Leeds ist selten bösartig. Es ist die Vehemenz der Jugend.

In der zweiten Halbzeit hatten sie ihren Rhythmus endlich gefunden, es ging drunter und drüber vor Valencias Tor. Wie so oft in Leeds sah es leicht chaotisch aus, aber dann sind sie am gefährlichsten. Torwart Cañizares rettete famos bei einem Kopfball von Verteidiger Dominic Matteo, Lee Bowyer köpfte noch einmal an die Latte – geht das große Abenteuer, wie Leeds’ unwahrscheinlicher Marsch durch die Champions League in England genannt wird, seinem Ende entgegen? „Gott hilft auf viele Arten“, entgegnete Trainer O’Leary.

Natürlich werden sie, falls sie am Dienstag ausscheiden, hören, was für ein unglaublicher Erfolg der Einzug ins Halbfinale war. Selbstverständlich wird man schreiben, dass sie als junges Team noch viele Chancen kriegen werden. „Aber so funktioniert Fußball nicht“, sagt O’Leary, „als junger Spieler mit Arsenal stand ich von 18 bis 20 jedes Jahr im englischen Pokalfinale und fragte mich: ,Warum soll das was Besonderes sein, diese Cup-Finals?‘ Und dann kam ich zwölf Jahre lang nie mehr ins Finale.“ Deshalb gelte für sein Team: „Wir werden vielleicht nie mehr in so einer Position sein. Wir müssen das Halbfinale als einmalige Chance betrachten.“ Und jetzt entschuldige man ihn bitte: „Leute, ich muss heim, meine Frau wartet, die will das Ergebnis wissen.“ RONALD RENG