Das Argument der besseren Party

Coole Kids können widerstehen: Eine „HipHop-Tour gegen rechte Gewalt“ machte Station in fünf ostdeutschen Städten mit hohem Naziaufkommen

Subkulturell ist alles, was nicht Nazi ist: Punkrock, Metal oder eben HipHop

von VOLKER WEIDERMANN

Nachts auf der Landstraße von Eberswalde nach Berlin. Die Straße ist leer, der Radiosprecher erklärt: „Das Land Brandenburg hat im vergangenen Jahr einen starken Anstieg rechtsextremer Straftaten verzeichnet. Insgesamt seien 365 solcher Delikte registriert worden, und damit 27 Prozent mehr als 1999, sagte Innenminister Jörg Schönbohm von der CDU am Freitag in Potsdam. Bei den fremdenfeindlichen Gewalttaten liege Brandenburg bundesweit an erster Stelle. Die Zunahme des Rechtsextremismus sei trotz erhöhten Ermittlungsdrucks und eines täterorientierten Ansatzes zu beobachten, bekannte der Minister.“

In Eberswalde bleibt es an diesem Abend ruhig. Nicht, dass wirklich Naziangriffe zu erwarten gewesen wären. Die Veranstaltung war zu groß, zu unübersichtlich. 530 Leute im alten Bahnhof der 45.000-Einwohner-Stadt in Brandenburg, eine halbe Autostunde nördlich von Berlin. Komplett ausverkauft. HipHop war an diesem Abend nach Eberswalde gekommen. Denn HipHop ist auf Tour durch Ostdeutschland. HipHop ist auf Tour gegen rechts.

Vor dem Konzert sitzen Holunder und Schuh von der Gruppe Blumentopf am Wirtshaustisch im Backstage-Bereich, trinken Cola und warten. „Wir sind nicht links und nicht rechts. Wir sind normal“, sagt Schuh. Und wer jetzt von ihnen erwarte, dass sie Botschaften von der Bühne runterschreien oder die Fans „Nazis raus!“ skandieren lassen, der täusche sich. „Die Leute sollen selber denken.“ Am Konzept der Tour, die unter dem Motto „Die Leude woll’n, dass was passiert“ in fünf ostdeutschen Städten Station macht, hat die zwei von Blumentopf vor allem ein Satz der Veranstalter überzeugt: Die Rechten sind da stark, wo die anderen schwach sind. „Deshalb sind wir hier. Um diese anderen zu unterstützen“, sagt Schuh und zieht sich die Mütze zurecht.

HipHop, so wie er ihn sieht, ist eigentlich nicht politisch. „HipHopper sind nicht alles gute Menschen oder links oder so.“ Nur eines ist sicher: „Man ist doch entspannter als HipHopper, lässiger, cooler, besser drauf. Wir feiern die bessere Party.“ Dass HipHop eigentlich unpolitisch sei, sieht der Hüne am Wirtshaustisch gegenüber anders. Da sitzt Torch bei Sport-Bluna und Reispfanne und berät mit seinen Musikern den kommenden Auftritt. Zu Rechtsextremismus und politischem HipHop will er heute Abend nichts mehr sagen – er gibt seit dem frühen Morgen Interviews dazu. Torch gehörte schon mit Advanced Chemistry zu den ersten HipHop-Acts, die in Deutschland klar politischen HipHop gemacht haben. Torch ist ein Kämpfer und blieb auch ein Kämpfer, als sich HipHop in Deutschland immer mehr zu bloßer Partymusik entwickelte. Jetzt unterhält er sich lieber mit einem Nachwuchsrapper in Tarnjacke über die HipHop-Szene in Berlin und wie bescheuert dort einige seien, weil sie HipHopper aus einem anderen Bezirk schon dämlich finden, allein weil die aus einem anderen Bezirk kommen. „Spinnen doch.“

Neben ihm sitzt Toni L., der zweite MC bei Torch. Er sagt: „Klar nervt uns dieser Medienhype um den Rechtsextremismus seit letztem Sommer. Einfach, weil wir da schon immer klar Stellung bezogen haben. Und jetzt wird das als Sensation entdeckt.“ 1998 hat Toni L. schon einen dreimonatigen HipHop-Workshop in Straßburg für die Kinder der banlieue organisiert und betreut, später sogar einen Vortrag vor dem EU-Parlament über seine Erfahrungen gehalten. „Es ist viel besser und wirkungsvoller, die Kids über HipHop statt über Sozialarbeiter von der richtigen Sache zu überzeugen.“ Die HipHop-Workshops sind inzwischen als regelmäßiges EU-Projekt „Banlieue d’Europe“ fest institutionalisiert. „Und nebenbei“, sagt Toni L., „die Verhältnisse sind in Straßburg viel extremer, die Leute viel gewaltbereiter als in ganz Ostdeutschland.“

Unten auf der Bühne spielen gerade Spax. Die Stimmung ist großartig. Die Halle ist voll. Spax sagt: „Hey, Eberswalde. Wir sind hier, weil wir HipHopper sind. Wir sind für euch hierher gekommen. Wir HipHopper sind gekommen, weil wir die Gegenkultur sind, gegen die Nazis hier im Ort.“ Gänsehautstimmung, Jubel, alle sind in diesem Moment eins im Kampf gegen den Feind da draußen. Dann kommt Torch. Er singt: „Ich glaube so stark an die HipHop-Kultur.“ Und dann hebt er auf der Bühne zu seiner kurzen Rede an: „Normalerweise sage ich immer: Toll, dass ihr mich supportet. Aber heute ist das andersrum. Heute bin ich hier, weil ich euch supporten will. Ich bin für euch gekommen. Ihr seid nicht allein.“ Und er endet mit einem kurzen „Ich brauche gar nichts weiter zu sagen. Ihr seid hier. Und das ist cool.“

Eberswalde ist begeistert, die Halle jumpt auf und ab, wirft die Arme und ruft „Hallo!“, als von der Bühne gefordert wird: „Wenn ihr gegen Nazis seid, dann ruft Hallo!“ Die jüngsten sind vielleicht zwölf, die meisten um die zwanzig, Kleinstadtjugend, HipHopper und keine HipHopper, einige Skins, Baseballkappenträger, man sieht Che-Guevara-T-Shirts, Army-Tarnanzüge und biedere Streifenhemden. Für Eberswalde ist das eine große Sache. Dass Torch kommt. Und Blumentopf. Und Spax. Kai Jahns von einer Jugendinitiative vor Ort sagt: „Die Kids haben mich mit großen Augen angeguckt und gesagt: Man, was ihr hier für Leute angekarrt habt. Wahnsinn! Das da hinten, an den Turntables bei Torch, das ist doch Mr. Burns! Der ITF-Champion 2000. Und das bei uns in Eberswalde. Ihr seid super . . . “

Die Tour hat das Hamburger „Büro Lärm“, die Agentur „Four Artists“ und die „Amadeu-Antonio-Stiftung“ organisiert und koordiniert. Das Prinzip war: bekannte HipHop-Acts aus ganz Deutschland und lokale Bands vor Ort zusammenzubringen. Von den Großen haben viele spontan und ohne Gagenforderung zugesagt. Neben denen in Eberswalde auch die Spezializtz, D-Flame und Nina MC. Ninas Vater hatte die Idee zu der Tour: „Was Udo Lindenberg kann, könnt ihr doch schon lange.“

Zwölf Orte hatten sich als Ausrichtungsstädte beworben. Fünf wurden ausgewählt: Neustadt an der Orla, Wurzen, Dessau und Bad Salzungen und eben Eberswalde waren die Stationen. Allesamt Orte mit lokalen Initiativen gegen Rechstextremismus, die man mit den Konzerten unterstützen konnte, und mit einem massiven Naziproblem vor Ort. Probleme gab es während der Tour, die am letzten Sonntag in Bad Salzungen zu Ende gegangen ist, nur in einem Fall. In Wurzen, so berichtet die Tourleiterin Meike Hecker vom Büro Lärm, wurden die Graffitisprüher, die mit öffentlicher Genehmigung den Nachmittag über eine Wand besprühten, von Glatzen in vorbeifahrenden Autos regelmäßig mit „Heil Hitler“ und „Wenn wir euch kriegen, töten wir euch“ angeschrien. Die Polizei hatte unterdessen nichts Besseres zu tun, als den Sprayer Daniel, der die Szenen filmte, kurzfristig in Gewahrsam zu nehmen, ihn zu zwingen, die Aufnahmen zu löschen und den gut Deutsch sprechenden, aber asiatisch aussehenden Jungen mit einem in die Menge gerufenen „Kann hier jemand Vietnamesisch?“ zu beleidigen. Dem Polizisten droht jetzt, wie Hecker vom Wurzener Polizeichef erfahren hat, ein Disziplinarverfahren.

Das Prinzip war: Rap lokal trifft national. Die Botschaft: „Ihr seid nicht allein.“

In Eberswalde blieb es ruhig, die Nazis zu Hause. „Gesicht zeigen ist hier nicht“, sagt Kai. Es gebe zwar starke Bestrebungen, die rechte Szene in Eberswalde zu organisieren, doch die seien bislang meist gescheitert. Zu einer Demo der NPD im März, zu der Nazigrößen aus ganz Deutschland angereist waren, sei kein einziger Eberswalder gegangen. Es gebe hier zwar jede Menge „Dumpfbacken mit rechstextremer Gesinnung“, aber die meisten hätten keine Lust auf Heimatabende oder Demonstrationen. Trotzdem passieren hier immer wieder schlimme Dinge. Wie im letzten Mai, als der 27-jährige, arbeitslose Mike Bether den 22-jährigen Punk Falko Lütke vor ein Auto gestoßen hatte. Falko Lütke starb, weil er den Täter im Bus auf sein eintätowiertes Hakenkreuz angesprochen hatte.

Gerade um die Kids ringen die Rechten in Eberswalde. Kai Jahns kämpft mit seinem „Eberswalder Zentrum für demokratische Kultur, Jugendarbeit und Schule“, das sich gerade im Aufbau befindet, dagegen. Er setzt auf „subkulturelle Jugendarbeit“. Und „subkulturell“, das ist in Eberswalde alles, was nicht „Nazi“ ist – ob Punkrock-, Death-Metal- oder HipHop-Konzerte von Bands vor Ort, manchmal auch Techno. „Damit die Kids sehen: Man muss nicht Nazi sein, um cool zu sein. Man muss nicht Nazi sein, um dazuzugehören.“ Noch ist Rechtsextremismus nicht Mainstream in Eberswalde. Auch dank solcher Initiativen vor Ort.

„Musik ist extrem wichtig bei der Herausbildung einer eigenen politischen Identität“, sagt André Koch, der die Konzertreihe von der Amadeu-Antonio-Stiftung aus mit organisiert hat. Und er ist begeistert, dass so viele extrem junge Kids auf der Tour dabei waren und dass die jetzt erfahren haben, dass hinter HipHop auch noch eine ganze Kultur, eine ganz andere, neue Wichtigkeit dahinter steht. „Das ist deren erste politische Demonstration. Die stehen in einer Menge von Leuten, die alle zusammen ‚Nazis raus!‘ rufen. Das prägt.“

Am Ende spielen Blumentopf. Sie singen „Wir sind auf Partysafari“ und „Es geht um dies und das, geht um Liebe und Hass.“ Und: „Deshalb woll’n wir feiern und nicht drüber reden, denn ihr Eberswalder wisst Bescheid.“ Wie gut sie Bescheid wissen, die Eberswalder, das können alle sehen, am Ende des Konzertes, als Holunder die Kids auffordert, zum Freestylen auf die Bühne zu kommen. Dann freestylen sie alle, rappen „Nazis raus, Nazis raus“ oder, dass sie extra aus Bremen angereist seien, dass sie alle Mitfeierer cool finden und dass „HipHop immer immer größer“ wird, „genau wie’s Universum.“ Und zumindest viel, viel größer, als jede Nazi-Unkultur hier in dieser Stadt.