Hungern für die Medien

Die ehemalige EU-Kommissarin Emma Bonino fordert mehr Aufmerksamkeit für ihre Partei

von MICHAEL BRAUN

Ihr schmales Gesicht mit den hohen Wangenknochen ist den Italienern seit Jahren präsent. Doch in diesen Tagen konnten sie im Fernsehen live verfolgen, wie Emma Bonino immer hagerer wurde, wie sie blass und mit schleppender Stimme erklärte, warum sie am 27. April einen Hunger- und Durststreik aufgenommen hatte. Den Skandal eines Wahlkampfes gelte es anzuklagen, in dem alle wichtigen ethischen Themen – von der Euthanasie über die Abtreibung per Pille bis hin zur Genforschung – von der Rechten wie der Linken konsequent ausgeblendet würden. In den Medien sei eine Mauer des Schweigens um ihre Radikale Partei errichtet worden, die als einzige Kraft konsequent für Bürgerrechte streite.

Wie man immer wieder Aufmerksamkeit erregen kann, lernte Emma Bonino von Marco Pannella, dem alten Chef und Guru der Radikalen. Anfang der Siebzigerjahre fand sie zu dem Häuflein antiklerikaler Bürgerrechtler. Sofort stand sie im Kampf für die Ehescheidung und die Legalisierung der Abtreibung an vorderster Front; ihre Selbstanzeige – „Ich habe abgetrieben“ – brachte ihr 1975 einen kurzen Gefängnisaufenthalt und landesweite Popularität ein. 1976 wurde sie zum ersten Mal Parlamentsabgeordnete. Weiterhin kämpften die Radikalen vor allem mit außerparlamentarischen Mitteln, und Emma Bonino war immer dabei.

Zunehmend aber dienten die Methoden von 68, um für ganz neue „Bürgerrechte“ zu streiten: für die Freiheit der Unternehmer, nach Belieben zu entlassen, für grenzenlose Flexibilität, gegen staatlichen „Regulierungswahn“. Überzeugt trug Emma Bonino die Wende von der libertären zur neoliberalen Partei mit, genauso wie Pannellas Entscheidung, die Radikalen 1994 ins Bündnis mit der Berlusconi-Rechten zu führen. Emma Bonino brachte diese Allianz die Ernennung zur Europäischen Kommissarin ein. Der respektable Job war bestens geeignet, mit unkonventionellen Methoden weitere Popularitätsgewinne zu erzielen: Die spektakuläre Reise ins Kabul der Taliban – die die Kommissarin zwei Tage festhielten – sorgte genauso für weltweite Aufmerksamkeit wie ihr Kapereinsatz auf hoher See, als sie sich auf einen Fischkutter abseilen ließ.

Bei den Europawahlen 1999 brachte der Popularitätsschub den nun als „Lista Bonino“ antretenden Radikalen 8,5 Prozent. Doch dann wurde es still um die Partei – bis Emma Bonino nun die Schlagzeilen zurückeroberte. Nachdem Herzprobleme aufgetreten waren, brach sie ihren Hunger- und Durststreik gestern auf Anraten der Ärzte ab.