Ringelreih'n im Wattenmeer

Wenn Hunderttausende von Vögeln an der Nordsee rasten, freuen sich Touristen, Gastronomen und Naturschützer  ■ Von Sven-Michael Veit

„So'n bisschen 'ne Plage sind die ja schon“, sagt Reinhard Boyens und weist mit dem Kinn runter auf die Salzwiese. Auf die Hundertschaft Ringelgänse, die hinterm Deich im Norden Amrums die Weide abgrasen, „auf der wir früher Vieh zu stehen hatten“. Alles würden die schwarzweißen Gänse „kahlfressen und zukacken mit ätzendem Kot“, weiß der Strandkorbvermieter und Wattführer, „und nach sechs Wochen hauen sie einfach ab“.

Aus ihren Winterquartieren in Frankreich und Südengland kamen sie, zum Eismeer ziehen sie weiter zum Brüten, zumeist auf die sibirische Halbinsel Taimyr. Zuvor aber fressen sie sich für den 4000 Kilometer langen Flug Fettreserven an, im Wattenmeer der Nordsee. Hier im Gezeitenbereich zwischen dem dänischen Esbjerg und den Niederlanden liegt das, was Umweltschützer „die größte Vogelraststätte Europas“ nennen. Das Zentrum sind die nordfriesischen Halligen sowie die Inseln Amrum und Föhr.

Hunderttausende von See- und Watvögeln bevölkern hier von Mitte April bis Mitte Mai die Wiesen und Watten: Nonnen- und Graugänse, Eiderenten, Strandläufer und Goldregenpfeifer, Kiebitze und Knutts, Austernfischer und Zwergseeschwalben. Und eben Ringelgänse, die vor 50 Jahren noch vom Aussterben bedroht waren und inzwischen natürlich unter Schutz stehen. Etwa 150.000 Exemplare soll es jetzt wieder geben, rund 13.000 hat Klaus Günther, Ornithologe im Husumer WWF-Büro, allein auf Hooge gezählt, der selbsternannten „Königin der Halligen“ und Mittelpunkt der Ringelganstage, die morgen zu Ende gehen.

Mit dieser Woche voller Exkursionen, Segeltörns, Vorträgen und Feiern, die WWF und Schutzgemeinschaft Wattenmeer, das Nationalparkamt Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und die Halliggemeinden jetzt zum vierten Mal veranstalteten, wird für sanften Tourismus geworben. Mit Erfolg, wie das Nationalparkamt zufrieden resümiert: Zimmer und Ferienwohnungen auf Hooge waren die Woche über ausgebucht, ebenso auf der Nachbarhallig Langeneß, von Amrum brachten die Fähren täglich Hunderte Vogelfreunde zu den Gänsen und in die Cafés.

Die Akzeptanz steigt selbst bei den skeptischen Inselbewohnern, welche die Vögel seit alters her als Nahrungskonkurrenten ihrer Schafe und Kühe betrachteten. Ausgleichszahlungen bekommen sie vom Land dafür, dass sie ihre Haustiere erst auf die Weiden lassen, wenn die Vögel wieder weg sind, und die Sache mit dem Kot „ist ein Vorurteil, das aus manchen Köpfen einfach nicht rauszukriegen ist“, seufzt Günther: „Der ätzt nicht, das ist klasse Dünger.“

Dass sich mit dem Federvieh Geld verdienen lässt, ändert bei vielen die Sichtweisen, aber nicht bei allen. „Naja, für den Tourismus ist das ja ganz gut“, räumt Wattführer Boyens ein. Einen Narren hat er an den Gänsen aber nicht gefressen: „Die schmecken ja nicht mal.“