„Ich bin eher Langstreckenläufer“

Seit 50 Jahren überträgt der NDR-Rundfunk die Sendung „Zwischen Hamburg und Haiti“. Redakteur Wolfgang Meisenkothen im Porträt  ■ Von Petra Schellen

Wolfgang Meisenkothen liebt Umwege. Liebt es, über Stock und Stein zu balancieren, um in irgendeiner Erdballecke Neues zu finden. Andererseits weiß der NDR-Redakteur, dass das mit den Pioniertaten nicht mehr funktioniert: „Alle, die denken, sie wären die ersten, die mit dem König von Togo oder sonstwem plaudern, haben wahrscheinlich bloß übersehen, dass irgendwer schon vor ihnen da war.“

Was ist es aber dann, was Meisenkothen seit 22 Jahren bewegt, die Sendung Zwischen Hamburg und Haiti zu betreuen, die am 13. Mai 50 wird? Was war es, das den Verlagskaufmann dazu brachte, 16 Jahre lang als freier Autor, „wie ein Sputnik um den Erdball zu kreisen“? Fragen, die Meisenkothen schwer beantworten kann: „Ich bin Bauchmensch“, sagt er – auch, wenn man ihn nach Gründen für Entscheidungen oder Aversionen fragt. Danach, warum er nie ein Faible für Afrika entwickelte oder warum er mit 35 ins Redakteursdasein wechselte.

Denn so ganz glaubt man es ihm nicht, das pragmatische Argument, er habe endlich in die Rentenkasse einzahlen wollen: Zuviel Fernweh spricht aus seinen Geschichten, zu beklemmend wirkt das freundlich-winzige Büro – gefängnisartig für einen, der lange keine Grenzen kannte. Sicher, manchmal sei es gefährlich gewesen, räumt er ein. Kurzfristig habe er auch Einsamkeit empfunden – etwa 1962, als er mit einem Auswandererschiff in Australien ankam: „Wenn man rauskommt aus der Höhle des Schiffes, wenn die Leute, mit denen man Wochen verbracht hat, verschwunden sind und man allein im Hotel sitzt, fragt man sich schon, was mach ich eigentlich hier?“ Aber lange währten solche Durchhänger nie; meist hat Meisenkothen schnell Anschluss gefunden. Eine Tatsache, die sich mit seinem Selbstbild deckt: „Meine Begabung liegt im Kontakt mit Menschen.“

Das fand auch Werner Baecker, erster Redakteur von Zwischen Hamburg und Haiti, der Meisenkothen 1962 zum Einstieg in den Journalismus überredete und ihn für das NDR-Nachwuchsstudio vorschlug, wo er ein halbes Jahr bei Axel Eggebrecht lernte. Das Malen von „Hörbildern“ liebt Meisenkothen – eine Leidenschaft, der er von 20 bis 35 frönte: als freier Autor, der Reportagen für die Sendung Zwischen Hamburg und Haiti lieferte, in den 50ern Reiseersatz für die Nachkriegsdeutschen.

Politische Ambitionen schwangen nicht mit im Konzept, das Baecker entworfen hatte. Unterhaltsam Land und Leute präsentieren wollte die Sendung, auch wenn sie inzwischen weniger naiv daherkommt als zu Beginn. Angst vor der Politik habe er nie gehabt, beteuert Meisenkothen, aber eben auch keine besondere Neigung: „Die kurze Form liegt mir nicht. Ich bin eher Langstreckenläufer.“

Er weiß, dass die Reportagen, die in den Anfangsjahren zwei Millionen Zuhörer erreichten, keine ungestillten Sehnsüchte mehr bedienen. Und doch glaubt er an das ewige Leben seiner Sendung, die eine eingeschworene Hörergemeinde habe. Dass die geschrumpft ist, deprimiert ihn nicht, auch nicht die Tatsache, dass Konzentration rar geworden ist – abtrainiert durch 2-Minuten-Häppchen oder in den 90ern aus dem Genom gefallen? „Heute ist eine halbe Stunde schon lang“, sagt er, der weiß, „dass ein Werdegang wie meiner heute nicht mehr möglich wäre: Die Strukturen des Rundfunks haben sich geändert, es ist eine andere Zeit.“ Eine Zeit mit weniger Mut zum Aufbruch?

Möchte er nicht drüber nachdenken, denn ihm ist klar, dass er mit Zwischen Hamburg und Haiti eine Nische bewohnt: Sonntags von 9.30 bis 10 Uhr kann, wer möchte, Brötchen mümmelnd Reportagen aus allen Kontinenten hören, zusammengestellt von Autoren zwischen 25 und 70 Jahren.

Und der Redakteur? Gibt es einen Ort, den er dringend noch ansteuern möchte? „Ich hatte nie den Anspruch, alles gesehen zu haben.“ Ihm war immer wichtiger, sich auf Orte einzustellen, anstatt sie im Nachhinein mit vorgefassten Ideen kompatibel zu machen. Einen Globus hat er auf seinem Schreibtisch allerdings immer im Blick, auch die Ordner, auf deren Rücken Orte zu Buchstaben geronnen sind. „Neidisch sein auf die freien Reporter darf man nicht“, sinniert er. „Sonst ist man für diesen Bürojob ungeeignet.“ Die Entwicklung von der Idee zum fertigen Produkt fessele ihn schon, sagt er dann tapfer.

Aber wohl doch nicht ausschließlich: Hätte er sonst immer wieder versucht, aus dem Büroalltag auszubrechen? Für die Sendung am 27. Mai nach Haiti zu fliegen, wohin seit Jahren kein privater Tourist mehr reist? „Der Botschafter hat mir gleich gesagt, dass seine Kinder mit Panzerwagen in die Schule gebracht werden. Und so imposant Port-au-Prince tagsüber ist – so beklemmend wirkt es nachts, wenn die Stadt zum schwarzen Loch wird, das alles Licht schluckt – ein Sog, dem sich nur der Präsidentenpalast, da privat beleuchtet, entziehen kann.“ Noch.

Jubiläumssendungen: Es begann auf der Welle der Freude. Ein Rückblick auf fünfzig Jahre ,Zwischen Hamburg und Haiti', 13. 5.; Vom Damals ins Heute – Ein Hamburger Bilderbogen aus fünf Jahrzehnten, 20.5.; Geheimnisvolles Haiti – oder: Erkundungen in einem Land der Kontraste, 27.5.; alle 9.30 bis 10 Uhr, NDR 4 INFO