Der Geschichtenerzähler

Nur eine Enthaltung für SPD-Spitzenkandidaten Ortwin Runde. Senator Wagner mit schlechtestem Resultat  ■ Von Peter Ahrens und Sven-Michael Veit

Nur seine eigene Stimme fehlte. 302 von 303 Delegierten wählten Ortwin Runde gestern Nachmittag zum Spitzenkandidaten der Hamburger SPD für die Bürgerschaftswahl am 23. September. Dass dessen erstmalige Kür zur Nummer 1 unumstritten sein würde, muss Sitzungsleiter Walter Zuckerer mit sicherem politischen Instinkt geahnt haben: Der Vizechef der Bürgerschaftsfraktion hatte nicht einmal die Frage für erforderlich erachtet, ob es eine Gegenkandidatur gebe. Gabs auch nicht.

Genauso reibungslos wurden die nächsten Listenplätze exakt so besetzt, wie der Parteivorstand es vorgeschlagen hatte. Bürgerschaftspräsidentin Dorothee Stapelfeldt darf sich über Platz zwei und Fraktionschef Holger Christier über Platz 3 mit jeweils 285 Ja-Stimmen freuen, und Hamburgs DGB-Chef Erhard Pumm über Platz 4 (273 Stimmen). Danach folgt die 33-jährige Aydan Özoguz. Die parteilose Leiterin der deutsch-türkischen Projekte bei der Körber-Stiftung war vom Vorstand als Quereinsteigerin nominiert worden, um die „migrationspolitische Durchlässigkeit“, so ein Abgeordneter, der Hanse-SPD zu zeigen. 283 Delegierte traten diesen Beweis an. Auf Platz zehn musste Bausenator Eugen Wagner, der sich zuvor gebrüstet hatte, „als Senator einen Erfolg nach dem anderen einzufahren“, mit 78 Nein-Stimmen einen echten Misserfolg einfahren. Bis Redaktionsschluss wurden die ersten sechzig Plätze der Vorschlagsliste ohne Überraschungen durchgestimmt.

Am Vormittag hatte Runde in einer als Grundsatzrede angekündigten einstündigen Ansprache bereits alle HamburgerInnen umarmt. Die Alten, die Jungen, die Frauen, die MigrantInnen, die HafenarbeiterInnen, die IT-ManagerInnen – die SPD liebt sie alle und als WählerInnen besonders. Der Bürgermeister ließ in seiner Rede nichts und niemanden aus – bis auf den Koalitionspartner. Die Mitarbeit der GAL in der Regierung waren sowohl Runde als auch Parteichef Olaf Scholz kein Sterbenswörtchen wert.

Dafür widmeten sich beide umso ausführlicher der Christdemokratie. Rückwärts blickend, „mit den Rezepten aus der Adenauer-Ära und Visionen einer Kleinstadt der 50er Jahre“ wolle von Beust die Stadt regieren, arbeitete sich Runde am Wahlprogramm der CDU ab.

Ins selbe Horn stieß auch der nach Hamburg geeilte Bundeskanzler. Die CDU sei nicht zukunftsfähig, die SPD umso mehr, begab sich Gerhard Schröder ausführlich in bundespolitische Höhen, um zum Schluss noch einmal in Hamburg zu landen: Rot-Grün müsse die Wahl gewinnen, um die Bundesratsverhältnisse für die Schröder-Regierung nicht zu verschlechtern. Der Bürgermeister behauptete derweil, die SPD sei die „Partei der sozialen Gerechtigkeit“. Die habe so viele soziale Wohltaten über der Stadt ausgegossen , dass „kein politischer Gegner im Wahlkampf das Thema soziale Gerechtigkeit anzusprechen wagt“, prophezeite Scholz.

Da aber die SPD noch eine plausible Begründung braucht, warum sie trotz der erbrachten Leistungen auch in den kommenden vier Jahren als Regierungspartei noch gebraucht wird, stellten Runde und Scholz drei Schwerpunktziele für die nächste Legislatur in Aussicht. Jedem Jugendlichen, der heute noch von der Sozialhilfe leben muss, soll ein Arbeitsplatz angeboten werden, erklärte Runde diese Aufgabe zum Gegenstand eines „Bürgermeisterplanes“. Zweitens solle für alle berufstätigen Eltern ein Kindertagesplatz zur Verfügung stehen, und drittens wolle man das Angebot an Ganztagsschulen massiv ausbauen.

All das packte Runde – als rednerischer Kunstgriff gedacht – in die Form einer Geschichte, in der er ein neues Kapitel zu schreiben gedenke. Und genauso wirkte der Spitzenkandidat über weite Stre-cken auch: Ortwin Runde, der Geschichtenerzähler.