Das indisch-andalusische Feuerfangen

■ Das Festival für „alte“ Musik, „pro musica antiqua“, hatte einen furiosen Auftakt: „Maharaja Flamenca“ servierte ein geradezu unbeschreibliches Experiment

Unvergessen ist ein Konzert der Gruppe „Musafir“ aus Rajasthan bei der „Pro Musica Antiqua“ 1999: In unschlagbar virtuoser und unterhaltsamer Art rauschte ein orientalisches Fest mit Musikern, Tänzerinnen und Artisten in uns hinein und an uns vorbei. Verbanden sich schon in dieser explosiven Gruppe arabische und indische Einflüsse mit den Traditionen der Nomaden, so erlebten die BesucherInnen jetzt im ausverkauften Schlachthof ein „Experiment“, das sich kaum beschreiben lässt. Musafir, deren MusikerInnen sich inzwischen „Maharaja Flamenca“ nennen, hatten Feuer gefangen an der Begegnung mit der andalusischen Musik, die ihrerseits in ihren Ursprüngen eine einzigartige Mischkultur der Christen, Juden und Moslems ist, die erst 1492 abrupt beendet wurde. Nach verschiedenen internen Treffen gab es jetzt das erste öffentliche „Konzert“ in Bremen: zur Eröffnung der diesjährigen „Pro Musica Antiqua“.

Ungewöhnliches Bild: In der ersten Reihe sitzen die fünf SpanierInnen auf Stühlen, in der zweiten knien auf einem Podest die sieben InderInnen. Dass ein solches Treffen musikalisch so aufgeht wie an diesem Abend, liegt natürlich an der ungemeinen Sensibilität aller MusikerInnen, an ihrer Aufmerksamkeit und Neugier den anderen gegenüber, an ihrem strikt musikalischen Interesse. Da fängt der indische Sänger seine Arme nach der Art der Flamencotänzerin zu bewegen an, da dreht sich die andalusische Sängerin demonstrativ um, um ihre Melodie an den anderen Kontinent weiterzugeben, da setzt immer „die Gegenseite“ einfühlsame Kontrapunkte, und das ganze endet in einer fulminanten gemeinsamen Stretta.

Es war auch gut, dass nur die beiden großen Rahmenstücke gemeinsam musiziert wurden, dazwischen gab es wieder „authentisches“. Und wieder waren die wunderbaren Stimmen zu bewundern, so der Gesang von Antonio Jero mit seiner Kehlkopfakrobatik. Es gibt in diesen Ensembles keine besseren und keine schlechteren, so sei Jero nur stellvertretend genannt. Interessant war, noch einmal in so direktem Kontrast die ganz andere Art der Musikentwicklung zu beobachten: Lange spielen die Inder sich ein, warten ab, bis sie die richtige Stimmung haben – dies ist das eminent „jazzige“ der indischen Musik. Schnell und spontan sind die Andalusier hingegen präsent.

Das Konzert ist konzeptionell vielleicht das konsequenteste dieses Festivals, das zeitgenössische Musik aus mündlichen Traditionen multikulturell vorführt. Eine Wohltat gegen den nachkolonialistischen und kulturellen Raubbau mit und aus anderen Kulturen, den wir häufig genug unter dem schrecklichen Titel „Weltmusik“ zu hören kriegen. Es ist müßig, darüber nachzudenken, was da andalusisch und was indisch ist, wenn das Gesamtergebnis so stimmt wie hier.

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Konzerte der „Antiqua“: heute, Samstag, um 15 Uhr in der Kirche Unser Lieben Frauen, wo über mittelalterliche Musik improvisiert wird, und um 20 Uhr im Schlachthof „Nacht in Galizien“. Sonntag 15 Uhr in Unser Lieben Frauen das „Ensemble „Tragicomedia“ und um 20 Uhr im Sendesaal von Radio Bremen „Supreme Silence“ von Peter Vähi.