Neue Schutzmacht für den Sektor Kunst

Im Roten Salon sammelte Alice Ströver von den Grünen Argumente für eine Kulturförderung jenseits der Institutionen. Dabei fehlen immer noch die richtigen Strategien von unten, um die Hierarchien der Kulturförderung aufzubrechen

Sonne umsonst wissen Menschen ohne Bezahlung nach dem Bundesangestelltentarif (BAT) besonders zu schätzen. Vielleicht haben die Kulturarbeiter deshalb auch am Donnerstag nur spärlich den Kultursalon von Alice Ströver zum Thema „Kunst in der BAT-freien Zone“ besucht. Es war die 33. Runde einer Diskussion, die neue Strukturmodelle an die Stelle von Verteilungskämpfen setzen will. Seit sechs Jahren in der Opposition, arbeitet die kulturpolitische Sprecherin der Grünen unermüdlich an diesem Dialog quer über Tarif- und Gattungsgrenzen. Wahrscheinlich erhält das rote Licht im Roten Salon ihr den fröhlichen Mut der Einzelkämpferin, denn sonst sähe sie all die hängenden Mundwinkel der von Förderung Übergangenen, die ihr Podium verbittert anstarren.

Sie wollte Argumente sammeln, um die Kultur jenseits der Institutionen fester in der Förderung zu verankern. Doch ihre Podiumsgäste, die Redakteurin Barbara Burckhardt von Theater heute und Arno Paul, Professor für Theaterwissenschaft an der FU, wollten nicht mitpolieren am Glanz der Berliner Off-Kultur: Sie finden es anderswo interessanter. Nur Dieter Sauberzweig, Kurator des Hauptstadtkulturfonds, der mit 20 Millionen Mark aus Bundesmitteln für freie Projekte eingerichtet wurde, stimmt kraftvoll in das Lied von der Innovationskraft und Vielseitigkeit der Szene ein. 270 Anträge aus allen Sparten hat er mit seiner Jury für das Jahr 2001 durchgearbeitet und weiß, wo Entwicklungspotenziale zu finden sind und wo die größten Defizite Produktionen verhindern. Deshalb fordert er mehr Räume zum Proben und Ausprobieren, die Kunst nicht gleich unter Erfolgszwang stellen.

„Kein Stadttheater unterliegt so dem Druck ständiger Evaluierung wie projektgeförderte Künstler“, sagte Alice Ströver. Sie hat ausgerechnet, dass bisher etwa 6,6 Prozent des gesamten Kulturetats für das breite Spektrum ausgegeben werden, das Berlin den Ruf des Überraschenden und aus allen Nischen Blitzenden einträgt. Gerade dieser Bereich aber ist, wie eine neue Liste aus Stölzls Hand dokumentiert, am härtesten von Kürzungen und Haushaltssperren betroffen. So haben nur drei der Künstler, denen eine Einzelprojektförderung in Aussicht gestellt wurde, ihre Mittel sicher; 19 Produktionen sind durch die Haushaltssperre blockiert. Deshalb würde Ströver gern fordern: Mindestens 10 Prozent des Kulturetats müssen in der BAT-freien Zone ausgegeben und von Haushaltssperren ausgenommen werden.

Aber fast niemand wollte sich unter diese Fahne stellen. Da könnte ja jeder kommen und für sich Ausnahmen fordern, brummte der Professor der FU. Lieber mehr für die Kultur überhaupt, meinte Sauberzweig, der als ehemaliger Kultursenator schon weiß, was er da sagt. Höfliche Skepsis meldeten auch Veranstalter und Theatermacher an, denn eines wollen sie vor allem nicht: eine Festschreibung der Trennung zwischen Off-Szene und festen Häusern.

„Auch in den Stadttheatern sehen sich viele als Gefangene ihrer Produktionsbedingungen und wären froh über andere Wege“, gab Barbara Friedrichs von den Tanztagen Pfefferberg und dem Dachverband Zeitgenössischer Tanz zu bedenken. Der Begriff „freie Szene“ habe immer noch einen Beigeschmack von Talentpool oder Nachwuchspflege, kritisierte Dirk Cieselak, Regisseur von Lubricat, während es doch vielmehr um ein ausgewachsenes und anderes Verständnis von Kunst und Produktivität gehe. Die Sophiensaele oder das Podewil gehen auf heutige Bedürfnisse in einer Weise ein, die andere Theater gar nicht berührten. Der Stellenwert dieses „Sektors“, meinte Cieselak, könne nicht in Prozentzahlen festgeschrieben werden. So kamen Strövers politische Strategie und das dynamische Denken ihrer Klientel nicht zusammen.

KATRIN BETTINA MÜLLER