Dirndl-Delirium im Ballsaal

Wie „Sophie – Sissis kleine Schwester“ (RTL, So + Mo, 20.15 Uhr) pittoresk ergraut, feste auf ihreund unsere Trändendrüsen drückt, in Zeitlupe hinter Füchsen herjagt und andere Schlimmheiten

zu bedauern: CHRISTIAN BUSS

Der Wahnsinn hat ein Gesicht: Es sieht aus wie das von Klaus Kinski auf Valium und gehört Bayernkönig Ludwig II. Der musikvernarrte Monarch lässt Kusine Sophie einen Flügel auf die Spitze eines Berges schaffen, damit sie ihm die neueste Komposition seines Künstlerfreundes Richard Wagner vor imposanter Alpenkulisse vortrage. Der König kollabiert vor Glück. Das Publikum indes ist ratlos. Was soll das sein: Eine Hommage an das Abenteuerspektakel „Fitzcarraldo“, in dem Klaus Kinski einst den Opernspinner gab? Oder doch nur ein Celine-Dion-Video?

Das Gefühl der Ratlosigkeit will einen auch in den restlichen drei Stunden des RTL-Zweiteilers „Sophie – Sissis kleine Schwester“ partout nicht verlassen. Der verquaste Kostümschinken lässt die Motivation der Macher allenfalls erahnen. Am Anfang des Projekts dürfte die Idee gestanden haben, eine zeitgemäße Variante der alten „Sissi“-Tränendrücker zu bringen. In der Sat1-Reihe „German Classics“ wurden ja schon einmal alte Geschichten im neuen Gewand erzählt. Eigentlich eine sichere Nummer. Doch berauscht von dem rekordverdächtigen Budget haben Regie und Redaktion den Blick für die Relationen verloren.

Gleich am Anfang sehen wir eine Festgesellschaft, die in Zeitlupe auf Fuchsjagd geht, und der von jeder dramaturgischen Funktion befreite Einsatz der Zeitlupe nervt im Laufe des alpinen Bilderbogenes immer wieder. Es mag Menschen geben, die solche technischen Sperenzchen modern finden. Die dürfen sich dann auch daran ergötzen, wie die Prinzessin, die sich auf eine unstandesgemäße Liebschaft mit einem armen Fotografen einlässt, in einer schwülen Schnitt-Gegenschnitt-Abfolge zwischen Ballsaal und Bettenburg ihre Unschuld verliert. Auf der prunkvollen Feier wird Walzer getanzt – der Cutter indes folgt dem Rhythmus einer Polka.

Das 15 Millionen Mark teure Dirndl-Delirium soll die aufwendigste RTL-Produktion aller Zeiten darstellen. In die Gagen ist all das Geld wohl nicht geflossen, denn die Darsteller wurden bis auf ein paar Ausnahmen aus Vorabendserien und Soaps rekrutiert – und die sind billig. Und in der Titelrolle ist die noch gänzlich unbeleckte Valerie Koch zu sehen. Gefragt nach ihrem bisherigen Schaffen verweist die Schauspielschülerin in Interviews stolz auf ihre Diplomarbeit „Authentizität auf der Bühne“. Mit der Authentizität im Film hält man es, so viel steht fest, relativ locker: Bei ihrem Kampf gegen die Konventionen wird die aufmüpfige Prinzessin in allerlei historische Begebenheiten verwickelt.

Ein bisschen „Krieg und Frieden“, ein bisschen Kulturgeschichte – so kriegt das Frauenschicksal die rechte Würze. Die Wirren des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 führen bei Autorin Natalie Scharf, ansonsten für wenig historisierenden Herzschmerz wie „Ich kaufe mir einen Mann“ verantwortlich, jedenfalls ohne große Umwege zur Geburtsstunde des Kinos im Jahr 1895. Damals organisierten die Gebrüder Lumière in Paris ihre erste Filmvorführung, und ausgerechnet während dieses epochalen Ereignis begegnet die inzwischen pittoresk ergraute Sophie ihrem Geliebten wieder. Bevor sich die beiden jedoch in die Arme fallen können, wird die glücklose Titelheldin von einem brennenden Balken erschlagen. Eine Wendung, so unmotiviert und ungeheuerlich wie alles an dieser Kostüm-Soap. Immerhin: Der Wahnsinn findet so ein jähes Ende.