Warten auf das Tüpfelchen vom i

Drei Spieltage vor Schluss ist Schalke noch immer Tabellenführer. Vor 43 Jahren holte der Club seine letzte deutsche Meisterschaft. Willi Koslowski und Manfred Kreuz standen damals auf dem Platz. Heute träumen sie wieder vom Titel

auf Schalke CHRISTOPH SCHURIAN

Ob Schlachtenbummler, Baustellentouristen oder Museumsbesucher, wenn der FC Schalke spielt, ist für alle gesorgt. „An Spieltagen findet alle fünf Minuten eine Führung durch die Arena statt“, sagt Stephan Ehrenteit von der Museumsgesellschaft des Fußballclubs. Euphorisiert von der möglichen Meisterschaft lösten allein im April 8.000 Besucher eine Eintrittskarte für einen Gang durch den halbfertigen Fußballdom gleich neben dem Parkstadion. Mit einem Kombiticket gelangen Neugierige auch ins Schalkemuseum, das unweit der Arena in einem Container untergebracht ist.

Für Erinnerungen an die letzte deutsche Meisterschaft des FC Schalke vor 43 Jahren und seine ruhmreiche Vergangenheit bedarf es schon eines Museums. Oder man spricht mit Manfred Kreuz, denn der war dabei. „Ach Gott“, entfährt es dem ehemaligen Mittelfeldmotor des S 04, „da muss ich erst mal in mich gehen.“ Allzu lange muss der heute 64-Jährige aber nicht suchen nach seinen Erinnerungen an die Endrunde von 1958, die mit einem 9:0 gegen Berlin begann. Nach Erfolgen gegen Frankfurt und Karlsruhe standen die Königsblauen gegen den Hamburger SV im Endspiel von Hannover. „Plötzlich wurden wir zum Favoriten gestempelt“, sagt der pensionierte Beamte Kreuz, „dabei spielte beim HSV die halbe Nationalmannschaft.“ Bei den Schalkern trug damals nur Berni Klodt den Bundesadler.

Obwohl schon in die Jahre gekommen, stellte der Stürmer das Bindeglied zur Schalker Vergangenheit, in der die „Knappen“ zwischen 1934 und 1942 sechsmal Meister wurden und in der der Mythos Schalke begründet wurde. Nach den wilden Gründungsjahren wurde der Verein erst 1924 selbstständig. Dann aber ging es flott, nur zwei Jahre später schaffte man den Aufstieg in die höchste Spielklasse. Mit offensivem Kurzpassspiel, dem „Schalker Kreisel“ um die polnischstämmigen Ausnahmespieler Ernst Kuzorra und Fritz Szepan, galten die Schalker als fast unschlagbar.

Ruhm und Tragödie aber liegen dicht beieinander in der Geschichte von Schalke 04. Der erste Schwarzgeldskandal erschütterte den Club vor 70 Jahren. Der verantwortliche Kassierer suchte den Freitod im Rhein-Herne-Kanal, die Spieler wurden für die Saison 1930/31 gesperrt. Doch die Zuschauer hielten dem Verein die Treue: Die Beerdigung des Kassierers geriet zur Solidaritätsadresse, dem ersten Spiel in der Glückaufkampfbahn nach abgelaufener Sperre wohnten über 70.000 Schalker bei. Zur Zuneigung der Bevölkerung gesellten sich die zahlreichen Erfolge. Und auch den Nazis passte die Aufsteigergeschichte in die volksdeutsche Ideologie: Schalke wurde zum Aushängeschild des deutschen Fußballs. Dann kam der Krieg. Und „sorgte für Löcher in der Mannschaft“, sagt Kreuz.

13 Jahre danach sorgte Willi Koslowski im Endspiel von 1958 für zwei Vorlagen. „Klodt machte zwei Kopfballtore, Manni Kreuz zog mit links ab zum 3:0“: Koslowski hat das Spielgeschehen noch vor Augen. Als Obmann der Schalker Amateurabteilung ist er dicht dran an dem Verein, der ihm „das Schönste geschenkt hat, was ein Fußballer erleben kann: vor 70.000 im Niedersachsenstadion deutscher Meister zu werden!“ Der Stürmer, den sie den „Schwatten“ nannten, kennt auch das Erfolgsrezept von damals: „Wir hatten Selbstvertrauen, kamen mit breiter Brust nach Hannover.“ Unter Edi Frühwirth, dem österreichischen Trainer, spielten sie bereits ein „gewisses System. Damals wurde bloß Mann gegen Mann gespielt, und wenn ich einen Gegner umspielt hatte, stand ich schon frei vorm Torwart“, erinnert sich Koslowski, der für die Schalker in 230 Spielen 70 Tore schoss.

Heute ist Schalke wieder auf Meisterkurs, lange genug hat es gedauert. Und auch die Helden von einst fiebern eifrig mit. Exstürmer Koslowski fürchtet sich vor allem vor mauernden Gegnern: „Wenn 20 Spieler vorm Strafraum stehen, muss man die Nerven behalten. Da gibt es kaum einen, dem das am Kreuz vorbeigeht,“ sagt er und denkt an die zuletzt in Bochum schwächelnden Schalker. Manfred Kreuz ist da optimistischer. „Im August als Meister in die neue Arena einzuziehen wäre das Tüpfelchen auf dem i! Und den Pokal haben wir in petto.“ Der Finanzbeamte hat es genau ausgerechnet: „Mit 62 Punkten wird man Meister. Wir müssen nur die beiden Heimspiele gewinnen.“ Die sieht sich Kreuz eigentlich immer an, nur heute gegen Wolfsburg nicht, da spielt er Tennis mit seinen Sportfreunden vom TC Buer.

Im Museum neben der Arena kann man Manfred Kreuz trotzdem zuhören. Von ihm und vom Schalker Urgestein Herbert Burdenski laufen Erinnerungen an die vergangenen Fußballtage vom Tonband. In einem seltsamen Tunnel kann man Kreuz, Koslowski und die Mannschaft von 1958 auf Video erleben, auch ein Foto erinnert an die letzte Meisterschaft vor 43 Jahren. Man sieht darauf den schlanken Charlie Neumann, Multigastronom und Schalke-Edelfan. Neumann hält ein Spruchband hoch, das eigentlich Mut machen sollte im Ligaendspurt: „Wir sind vom Helle-Weg, den HSV fegen wir weg. Wir trinken gerne Bier und sind Anhänger von Schalke 04!“