Wer mit Tempo 20 die Landschaft an sich vorbeiziehen lässt, ist zumeist ein Radfahrer und liegt als solcher voll im Trend. Mehr als zwei Millionen Deutsche haben im vergangenen Jahr eine Radreise unternommen, ermittelten die Freizeitforscher. Und in diesem Jahr könnten es noch mehr werden.

Auf alle Fälle wird ihnen immer mehr geboten: besser ausgebaute und ausgeschilderte Radfernwege, Hotels, die Radtouristen nicht im Regen stehen lassen, neue Fahrräder, die selbst bei schwerem Gepäck noch leicht und bequem zu bewegen sind. Da wollen wir natürlich nicht abseits stehen. Schwerpunkt dieser „Fahr Rad!“-Ausgabe: Reisen mit dem Rad.

Redaktion: Helmut Dachale und Klaus Koniezka

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Radtourismus verspürt Rückenwind

Immer mehr Radreisende stärken den Urlaubsstandort Deutschland. Vieles wird für sie getan – doch oft ist es trotzdem noch nicht der Traumurlaub. Einige Nachbarländer zeigen, wie es mit politischem Willen und einfachen Mitteln noch besser geht

von KLAUS KONIEZKA

Plötzlich will sie jeder haben. Gestern galten sie noch als das Aschenputtel der Reisebranche. Heute versucht man, ihnen den Sattel zum Thron zu machen: die Radtouristen in Deutschland.

Die Tourismusbranche ist womöglich durch die Radreiseanalyse des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club) wachgerüttelt worden. Diese bestätigt den Deutschen eine ungeahnt innige Beziehung zum Fahrrad. Über die Hälfte der Inlandsurlauber biken im Urlaub wenigstens ab und zu. Und aus den mehr als 2 Millionen, die im letzten Jahr ihre Ferien überwiegend mit Velo verbracht haben, sollen in 2001 und 2002 fast 5 Millionen Menschen werden.

Für den ADFC sind die radelnden Urlauber ein Wirtschaftsfaktor. 8 Milliarden DM seien nun mal ein stattlicher Anteil am touristischen Umsatz. Besonders die Gastwirte und Vermieter könnten sich freuen, geben Radtouristen doch 20 Prozent mehr aus als der Durchschnittsurlauber.

Das Rückgrat des Bike-Tourismus ist das Netz der Fernradwege. 200 solcher Routen durchziehen Deutschland mit einer Gesamtlänge von etwa 40.000 Kilometern. Radfernwege sind überregionale Trassen, die vor allem dem touristischen Radverkehr dienen und dazu bestimmte Qualitätsmerkmale aufweisen müssen. Dazu gehören zum Beispiel einheitliche Beschilderung, naturnaher Verlauf oder eine möglichst geringe Belastung durch Autoverkehr. Auch die touristische Infrastruktur wie Infomaterial, Gastronomie oder Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr sollten gewährleistet sein. 140 solcher Routen hat die Deutsche Zentrale für Tourismus in Kooperation mit dem ADFC jetzt wieder Broschüre herausgegeben („Deutschland per Rad entdecken“).

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Das weiß auch der ADFC, der sich trotzdem auf die intensive Zusammenarbeit mit den Fremdenverkehrsverbänden eingelassen hat. „Wir wollen die Chance als Motor für eine positive Entwicklung des Radtourismus nutzen und nicht immer nur die Peitsche schwingen und meckern, sondern auch mal Zuckerbrot verteilen“, sagt Frank Hofmann, stellvertretender Bundesvorsitzender und Radreisespezialist. So werden manchmal auch konkrete Planungen für eine besseren Routenausstattung honoriert und mit Abdruck in der Broschüre belohnt. Hofmann weiß, dass es noch „keine einzige Route gibt, die alle Qualitätsmerkmale zu 100 Prozent erfüllt“. Der vorbildliche Radelpark Münsterland (siehe nebenstehende radreisenotizen) sei aber schon nahe dran. Laut Hofmann ist das größte Problem die häufig nicht durchgängige und einheitliche Wegweisung, die den Nutzer oft irreleite. Und die Erstinformation für den radelnden Kunden funktioniere oft nicht, weil die Zuständigkeiten für eine Route, die durch mehrere Regionen oder gar Bundesländer führt, nicht geklärt seien.

Um dem Fahrradtourismus hierzulande mehr Rückenwind zu verleihen, fordert der ADFC jetzt eine Koordinierungsstelle Fahrradtourismus. Sie soll auf Bundes- wie auch auf Landesebene alle Aktivitäten der örtlichen Anbieter bündeln und damit gewährleisten, dass die radelwilligen Urlauber im Land bleiben.

Denn die Nachbarn Dänemark, Niederlande, Österreich oder die Schweiz, alle mit solchen Koordinierungsstellen versehen, buhlen mit ausgereiften Angeboten auch um deutsche Radler. So hat die Schweiz – nicht unbedingt ein traditionelles Radreiseland – in vier Jahren ein vorbildliches Radroutennetz aus dem Boden gestampft. Und da die Eidgenossen ein engagiertes Marketing betreiben, geben schon jetzt mehr Radler als erhofft ihr Urlaubsbudget in Fränklis aus. Ein Viertel von ihnen kommt aus Deutschland.

Europa wird halt auch für Radler kleiner. Seit drei Jahren ist das European Cycle Route Network dabei, so genannte EuroVelo-Routen zu installieren. Vom Nordkap bis nach Gibraltar und von Wales bis zum Schwarzen Meer sollen zwölf Routen mit insgesamt fast 62.000 Kilometern entstehen. Die knapp 6.000 Kilometer lange, schon durchgängig zu befahrene „North Sea“-Route wird just heute, am 5. Mai, in Hamburg offiziell eröffnet. Sie führt durch England, Norwegen, Dänemark, Schweden, Holland und auf 907 Kilometern auch durch Deutschland.

Mehr Infos: www.adfc .de, www.eurovelo.org, www.deutschland-tourismus.de