Versuchung der Botanik

■ Einfach sind die Rezepte aus der Kräuterküche nicht: Ein Zuviel vom Haselstrauch hat schon mancher Frau samt unerwünschtem Baby das Leben gekostet / Eine Führung

Mit warnendem Blick deutet Dr. Christian Maurer in den Halbschatten unter den Haselstrauch: „Dieses Kraut ist schuld daran, dass unzählige Frauen im Mittelalter ihr Leben lassen mussten.“ Bei dem Versuch, mit dem giftigen Haselwurz (Asarum Europaeum) eine unerwünschte Schwangerschaft abzubrechen, hätten sich nicht wenige der Frauen in der Wirkung verschätzt und vergiftet. Doch wenn die Wirkstoffe des Haselwurz ausreichend verdünnt und sorgfältig dosiert würden, beruhigt der Allgemeinarzt und Homöopath seine Zuhörer im Botanischen Garten, könnten sie gegen nervöse Unruhe und Magen-Darm-Krämpfe helfen. Wie die meisten homöopathischen Mittel verordne er das Asarum Europaeum in Form von Kügelchen – oder wie er es nennt: „Globuli“. Mit seiner 80-köpfigen Zuhörerschar zieht Christian Maurer an ein sonnigeres Fleckchen weiter, steigt wieder auf seine leere Getränkekiste und weist bedeutungsvoll auf eine Pflanze mit riesigen, dunkelgrünen Blättern vor seinem eigenartigen Podest. „Rhabarber wirkt besonders bei Durchfallerkran-kungen von Kindern lindernd“, sagt er. Um den so gefürchteten „Zappelphilipp“ zu bändigen, soll Rhabarber auch helfen, so Maurer. Während die älteren Damen diesen Hinweis bereits dankbar notieren, wirft er noch nach: „Natürlich müssen die Wirkstoffe auch hier homöopathisch aufbereitet werden. Ein Schlüsselchen Rhabarberkompott bringt noch nicht die erwünschte Wirkung.“ Lange Gesichter bei den älteren Damen.

Wie eng Schulmedizin und Homöopathie oft beieinander liegen, erläutert der Mediziner zwei Sandwege weiter: „Aus dem Vinca Mi-nor, besser bekannt als Immergrün, wurde ein starkes Krebsmittel gewonnen.“ In der Homöopathie werde es auch bei Ekzemen des behaarten Kopfes eingesetzt. Ein Gemütssymptom, das bei der Prüfung des Wirkstoffes beobachtet wurde, ist die starke Angst vor dem Tod.

Das grundlegende Prinzip der Homöopathie lautet „Similia similibus curantur“ (Gleiches wird durch Gleiches geheilt). Der Begründer dieses Heilverfahrens, Samuel Hahnemann, testete ausgewählte Substanzen an gesunden Menschen und beobachtete, welche Symptome sie auslösten. Verursachte ein Mittel also starke Angst vor dem Tod, so ging Hahnemann davon aus, dass dieser Wirkstoff Menschen helfen würde, die eben darunter litten. Über 1.000 Symptome habe Hahnemann bei der Prüfung von Pulsatilla, der Küchenschelle, notiert, so Maurer: „Einer antiken Sage nach ist diese Pflanze aus einer Träne entstanden, die die Göttin Venus um den verstorbenen Adonis weinte.“ Daraus ließe sich schon leicht ableiten, bei welchen Erscheinungen Pulsatilla verordnet werde: Bei jeglicher Form der Sekretion, der Schleimbildung, und bei Patientinnen, die leicht zu Tränen neigten. Auch der ärgste Feind des Englischen Rasens, der Löwenzahn, erweise sich in der Heilkunde als äußerst wertvoll. Er wirke appetitanregend und fördere darüber hinaus den Gallefluss, erläutert Maurer. „Für sehr mürrische Menschen ist er besonders geeignet.“ Das hätten Forscher an der ehemaligen Homöopathie-Abteilung des St.-Jürgen-Krankenhauses am eigenen Leib erfahren. „Zwei Prüfer mussten den Test nach einigen Tagen abbrechen, da ihre schlechte Laune nicht mehr zumutbar war.“ Zu empfehlen sei Löwenzahn-Salat, wobei nur die Blätter verzehrt werden sollten. Die Stängel könnten Durchfall und Übelkeit hervorrufen.

Eine kleine private Sprechstunde musste Dr. Christian Maurer im Anschluss an seine Führung einlegen. „Helfen Senfkörner gegen Rheuma?“, wollte eine Frau wissen. „Probieren Sie es. Wenn es Ihnen hilft, ist es gut“, war die Antwort. Andere erkundigten sich, in welcher Dosierung sie die Verletzungsarznei Arnika einnehmen müssten, oder ob der Herr Doktor nicht ein Mittel gegen den juckenden Ausschlag auf dem Rücken wisse. Sylvia Massow

Am 8. August gibt's um 16 Uhr eine weitere Führung über die Pflanzen des Sommers .