piwik no script img

Vor verschlossenen Türen

Europa präsentiert sich als Festung gegen Migranten, und auch von Nationalstaat zu Nationalstaat verschanzt man sich in Bildungsfestungen. Aber was hat eine deutsche Philosophiestudentin in Turin mit einem serbischen Fliesenleger in Berlin gemeinsam? Eine Gegenüberstellung

Der Serbe hat fünf Geschwister und kommt aus dem Ländereck Kosovo, Serbien, Montenegro

von STEFANI MAJER

Bis auf den Umstand, dass beide in einem europäischen Land leben, verbindet eine deutsche Philosophiestudentin in Turin mit einem serbischen Fliesenleger in Berlin kaum etwas. Es trennt sie ein Altersunterschied von 25 Jahren, sie gehören verschiedenen Nationen an, ihre Religion ist nicht die Gleiche.

Die Studentin, 24-jährig, wurde von ihren Eltern nicht getauft; der fünfzig Jahre alte Serbe ist Moslem. Es trennt sie die soziale Zugehörigkeit und die damit einhergehenden Aufstiegschancen.

Die Studentin stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen; beide Eltern aus der Umgebung von Bonn haben in Berlin ein Lehrerstudium mit Staatsexamen abgeschlossen. Sie ist in Berlin als Einzelkind von bald getrennten Eltern geboren, die sie beide finanziell unterstützen.

Der Serbe hat fünf Geschwister und kommt aus einer mittelgroßen Stadt im Dreiländereck Kosovo, Serbien, Montenegro; der Vater arbeitete als Mehlverkäufer, die Mutter war Hausfrau. Die Stadt heißt Novi Pazar, sie ist eine muslimische Enklave im orthodoxen Serbien; mit neunzehn hat er sie verlassen und eine Ausbildung zum Fliesenleger in Belgrad absolviert. Er lebt jetzt seit sieben Jahren in Berlin mit einem Ausweis, der sich „Duldung, Aufhebung der Abschiebung“ nennt und so eine Art Untersuchungshaft bedeutet: Er darf die Stadt nicht verlassen, er hat keine Arbeitserlaubnis, er kann seine Geschwister in Serbien nicht besuchen. Auf eigenen Wunsch erhält er keine Sozialhilfe. Dem Verdacht, er sei nach Deutschland gekommen, um sich auf ein Leben im deutschen Wohlfahrtsstaat einzurichten, mag er sich nicht aussetzen. Er lebt von seiner illegalen Arbeit als Fliesenleger, denn geduldete Ausländer dürfen in Berlin nicht arbeiten.

Die Studentin lebt seit ihrem 14. Lebensjahr in Italien und hat dort ihr italienisches Abitur gemacht. Sie schreibt derzeit an ihrer „Maitrise“ in Philosophie an der Universität in Nizza; das entspricht in etwa einer Magisterarbeit in Deutschland. Nach dem Abitur in Italien ging sie nach Frankreich, weil sie außer Italienisch noch eine andere Sprache lernen wollte. Sie hatte das italienische Abitur auf einem „liceo linguistico“, einem sprachlich orientierten Gymnasium, in Genua in der Tasche.

Der Serbe muss alle sechs Monate zur Ausländerpolizei, um seine Duldung zu erneuern, ist dort den Schikanen einer Behörde ausgesetzt, die mit Aufwand Abschreckung betreibt; endlose, durch nichts zu begründende Wartezeiten sind an der Tagesordnung. Im Falle von Krankheit verfällt sein Anspruch auf Erneuerung, er wäre dann schlicht illegal in Berlin.

Die deutsche Studentin lebt im europäischen Ausland im Besitz aller bürgerlichen Rechte, die dieser Status mit sich bringt; wenn sie auch als Studentin semesterweise ihre Aufenthaltsbescheinigung bei den französischen Behörden erneuern lassen muss. Ihre Querelen beginnen auf einer höheren Stufe. Arbeitsmarkt und Kulturpolitik sind nach wie vor eine nationale Angelegenheit. Die europäischen Freiheiten gelten bislang nur für Güter und Kapitalmärkte. Intellektuelle Qualifikationen, soweit sie nicht produktorientiert sind, werden nicht grenzenlos anerkannt. Die von ihr erworbene „Maitrise“ an der philosophischen Fakultät der Universität in Nizza wird im benachbarten Italien nicht anerkannt. Argument: Das italienische Examen, die „Laurea“ sei etwas ganz anderes als die französische „Maitrise“. Anders heißt in solchen Fällen meistens, dass der eigene nationale Standard höher bewertet wird als der der anderen. Um in den Besitz einer italienischen „Laurea“ zu gelangen, soll sie ihr Examen komplett noch einmal neu schreiben, inklusive der Examensarbeit. Zwischen Italien und Frankreich gibt es im Moment keinerlei Absprachen über die Anerkennung von Studienleistungen. Das hat sie nach endlosen Informationen bei Sekretariaten und Botschaften herausgefunden. Sie lebt jetzt in Turin und schreibt an ihrer „Maitrise“ für die Unversität Nizza in der Hoffnung, dass sich im nächsten Jahr die Bedingungen ihrer Anerkennung ändern.

Der in Berlin lebende Serbe hat seit längerem saisonbedingt keine Arbeit und wurde für die letzte Arbeit von mehreren Monaten noch nicht bezahlt. 50 Badezimmer hat er eigenhändig gefliest, ohne einen Pfennig Lohn zu erhalten. Die Möglichkeit, erneut eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, erweist sich sehr bald als Farce. Es stimmt zwar, dass seit dem 1. Januar 2001 der so genannte Blüm-Erlass aufgehoben wurde und mit ihm das Arbeitsverbot für hier lebende geduldete Ausländer. Aber die Firma, die ihn ein Jahr lang einstellt, Sozialabgaben bezahlt und gleichzeitig dem Arbeitsamt gegenüber für die Dauer von vier Wochen bescheinigen kann, dass sie keinen anderen gleichwertigen deutschen oder europäischen Arbeitnehmer gefunden hat, diese Firma gibt es nicht. Eine weitere behördliche Schikane also, mit großem Verwaltungsaufwand in Szene gesetzt. In Rudow auf dem Arbeitsamt kann er sich die Unterlagen abholen. Mehrere Seiten mit Amtsdeutsch bedrucktes Papier. Der Serbe ist nach wie vor gezwungen, zum Erwerb seines Lebensunterhaltes schwarz zu arbeiten, wenn es denn eine solche Arbeit überhaupt noch gibt. Die Kontrollen nehmen zu; viele Arbeitgeber nutzen seine unsichere Lage aus; um die Zahlungsmoral im Baugewerbe ist es schlecht bestellt. Ohne Arbeitserlaubnis bekommt er keine Aufenthaltsberechtigung. Ohne Aufenthaltsberechtigung kann er nicht nur kein Konto eröffnen, sondern auch bei den meisten Vermietern keine Wohnung anmieten; ohne Lohn für seine Arbeit kann er ohnehin keine Miete bezahlen; von Gesundheitsvorsorge, Krankenkasse oder gar Rentenversicherung ganz zu schweigen. Seine Zähne sind in schlechterem Zustand als die seiner deutschen Kollegen, und die Falten in seinem fünfzigjährigen Gesicht haben sich tief eingegraben.

Die deutsche Studentin erlebt trotz moralischer Unterstützung von vielen Seiten ihre subtile Form von Benachteiligung knallhart. Andere in ihrem Alter wohnen gemütlich bei den Eltern, sprechen keine einzige Fremdsprache, studieren irgend etwas und setzen kaum einen Fuß in die Universität; sie riskieren gar nichts, bekommen aber leichter ein Stipendium und werden eher gefördert als sie. Was nutzt es, fragt sie sich, drei Sprachen zu sprechen (Deutsch, Italienisch, Französisch) und die Realitäten in in drei verschiedenen europäischen Ländern zu kennen? Was nutzt es sich in diesen Ländern zu bewegen wie ein Fisch im Wasser, sich Kenntnisse anzueignen, gezielt zu studieren und einen anerkannten Abschluss zu machen, wenn dieser nur in einem der Länder gültig ist? Mit ihrem Berufswunsch, später in einer europäischen Institution zu arbeiten und übergreifend verschiedene Nationalitäten zu verbinden, verfängt sie sich vorerst im labyrinthischen Netz inneruniversitärer Auflagen.

Durch Schikanen seitens der Ausländerbehörden kann man Flüchtlinge zum Aufgeben und zur Rückkehr veranlassen; einen ähnlichen Effekt bewirken Verwaltungsvorschriften, ungeklärte Zuständigkeiten und inneruniversitärer Auflagen; sie halten Studenten davon ab, über den Tellerrand ihrer vorherbestimmten Studienbiografien zu schauen. Noch ist die Arbeit der Studentin nicht produktorientiert genug, um auf dem europäischen Markt Interesse zu wecken. Dienstleistungen müsste sie anbieten, kundenorientiert denken; möglichst schon während ihres Studiums sich verkaufen?

Die Studentin stammt aus kleinbürgerlichen Verhältnissen. Sie ist ein Einzelkind

Berlin hat sich einmal damit gebrüstet, so viele Flüchtlinge aus dem Balkan aufzunehmen und zu versorgen wie sonst keine andere Stadt in Deutschland. Aber wie sie dieselben behandelt, das steht auf einem anderen Blatt. Es gibt in dieser Stadt Personen, die machen illegal, das heißt ohne gültige Papiere, eine Ausbildung. Mit dem stillschweigenden Einverständnis eines wohlgesinnten Schuldirektors konnte so manches bosnische Flüchtlingskind von Eltern mit „Duldung“ das Gymnasium mit dem Abitur abschließen. In den kommenden zehn Jahren sollen zweihunderttausend Zuwanderer nach Berlin kommen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Darunter sollen möglichst viele Qualifizierte sein.

Was ist mit denen, die bereits hier leben? Palästinenser, Kroaten, Kosovo-Albaner und muslimische Serben können nicht länger künstlich auf Sozialhilfeniveau oder darunter gehalten werden; ihre Diplome als Lehrer, Krankenschwester oder Handwerker werden bei uns genauso wenig anerkannt wie „Maitrise“ von der französischen Uni auf einer italienischen. Was wäre, wenn die in Deutschland geborene Studentin mit dem italienischen Abitur und dem französischen Abschluss versuchte, in Deutschland Fuss zu fassen? Sie käme in die gleiche Mühle wie in Italien, und sie säße im gleichen Boot wie all jene, die gerade versuchen, ihren im Ausland erworbenen Abschluss in Deutschland anerkennen zu lassen.

Für den in Berlin lebenden Serben gibt es jetzt vielleicht eine „Altfallregelung“; sie ist im Zusammenhang mit der Debatte um das neue Zuwandererabkommen im Gespräch. Dort wird darüber diskutiert, Personen, die schon lange mit „Duldung“ in Deutschland leben, Arbeitserlaubnis und Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. „Altfallregelung“ ist in hässliches Wort, man denkt dabei an die Verwertung irgendwelcher Rückständen; aber es birgt die einzige Chance für ihn und andere zu einem legalen Dasein in dieser Stadt zu gelangen.

Möglicherweise fällt der Serbe unter diese „ Altfallregelung“. Die deutsche Studentin mit ihrer französischen „Maitrise“ in Italien und ihren deutschen und französischen Sprachkenntnissen wird neben ihrem Studienabschluss in Philosophie ein Niveau erreichen, das sie mit ausreichender intellektueller Standfestigkeit versieht. Möglicherweise hilft ihr dieses, dass ihre Pläne nicht eines Tages an den aufgebauten Barrieren der nationalen Bildungsfestungen zerschellen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen